Nach einem turbulenten Sommer deuten die Zinssignale der US-Notenbank auf einen entspannten Herbst. Warum die Kurse im August kurzfristig auf Tauchstation gegangen sind und was für einen freundlichen Jahresausklang an den Kapitalmärkten spricht.
Marktvolatilität aus dem Nichts
Der Schlag Anfang August kam vollkommen unerwartet. Nach schwachen US-Arbeitsmarktdaten und einer Zinserhöhung der Bank of Japan brachen die Aktienkurse in der ersten Augustwoche weltweit ein. Die Aktienvolatilität stieg dramatisch an. Der VIX, der sogenannte Angstindex, sprang auf einen Wert von über 65 – die implizite Aktienvolatilität beim S&P 500 belief sich also auf 65 Prozent. Anleger waren also nicht nur nervös, sondern regelrecht panisch. Aber nur für kurze Zeit. Wenige Tage nach den Tiefpunkten haben die Aktienkurse zur Aufholjagd angesetzt – und haben keine Pause gemacht. Wer in diesen Tagen nach einer langen Sommerpause seinen Laptop hochfuhr und in sein Depot schaute, dürfte ein ähnliches Bild wie dieses zur Kenntnis genommen haben:
Renditen in Euro, Quelle: Morningstar, Daten per 27.8.2024
Die oberen Fieberkurven von DAX, S&P 500 und Nikkei zeigen nach dem Abwärtszacken ein unspektakuläres Bild. Zwischen Mitte Juli und dem 27. August trat der DAX mit minus 0,35 Prozent auf der Stelle – wie auch der Nikkei mit minus 0,7 Prozent. Der S&P 500 verlor knapp zwei Prozent. Das ist die Sicht von Euroanlegern. In Dollar legte der S&P 500 sogar leicht zu. Lediglich beim Nikkei fiel aus Yen-Sicht ein markanter Verlust von sieben Prozent an. Blicken wir nun auf die Gründe für die Sommerturbulenzen, bevor wir auf den Ausblick für die Märkte im Herbst schauen.
Whodunnit: Waren es die sagenumwobenen Carry Trades?
Im Nachhinein haben Analysten und Medien viele mögliche Gründe für die plötzliche Aktienvolatilität ermittelt, hier das Bouquet an Begründungen:
US-Zinsen und Rezessionsängste: Gefahr einer harten Landung
Die Zinsen in den USA sind hoch, und die jüngsten Arbeitsmarktdaten haben Sorgen um die wirtschaftliche Stabilität geschürt. Manche Marktteilnehmer werfen der US-Notenbank vor, die Zinsen nicht bereits gesenkt zu haben und befürchten eine „harte Landung“, also eine Rezession in den USA.
Geopolitische Spannungen im Nahen Osten
Ein anderer Erzählstrang handelt von geopolitischen Spannungen im Nahen Osten. Nach Attentaten gegen islamistische Funktionäre im Libanon und dem Iran erwarten viele Gegenschläge der Hisbollah und des Iran gegen Israel, was die Eskalationsspirale weiterdrehen könnte. Als Hintergrundrauschen mag die Geopolitik eine Rolle gespielt haben, aber die unspektakuläre Entwicklung des Ölpreises über den Sommer deutet darauf hin, dass viele Anleger die Eskalation im Nahen Osten als Teil des politischen Alltags dort gedeutet haben.
Zinserhöhung der Bank of Japan
Am plausibelsten gilt die These, dass die jüngste Zinserhöhung der Bank of Japan von 0,1 auf 0,25 Prozent mehr Turbulenzen ausgelöst hat, als der – absolut gesehen – Minischritt auf den ersten Blick vermuten lassen würde. Die Zinserhöhung führte offenbar zur Auflösung zahlreicher Carry Trades. Bei einem Carry Trade nehmen Anleger Kredite in Niedrigzinswährungen auf, um das Geld höherverzinst anderswo zu investieren – etwa in Schwellenländern oder auch den USA. Diese Wetten sind in der Regel hochgehebelt, um die Renditen zu maximieren. Auch ein leichter Zinsanstieg hat also unter Umständen eine überproportional hohe Wirkung. Zumal Japan, nach Dekaden von Inflation und niedrigen Zinsen, nun eine historische Zinswende eingeleitet hat.
Technologieaktien und KI-Hype
Eher weniger plausibel ist das Argument, wonach die hohen Bewertungen von US-Technologieaktien, der KI-Hype und die zunehmend kleiner werdende Gruppe an Gewinner-Aktien die Ursache für die Verkaufswelle an den Aktienmärkten waren. Dieses Phänomen ist schon länger zu beobachten. Im Übrigen ist die Konzentration des US-Aktienmarkts im Vergleich zu anderen Märkten eher moderat.
Zusammenspiel verschiedener Faktoren: Mehr Verkäufe als Käufe
Alle die oben genannten Begründungen klingen plausibel, vermutlich war es ein Zusammenspiel unterschiedlicher Ereignisse. Gesichert lässt sich aber nur sagen, dass ab der zweiten Julihälfte mehr Anleger Aktien verkauft, als andere gekauft haben. (Das gilt auch für Japan-Aktien. Dass ausländische Investoren per Saldo Japan-Aktien verkauft haben, bedeutet nur, dass japanische Anleger auf der Käuferseite zu finden waren.)
US-Notenbank lässt die Zügel schleifen – wird der Herbst golden?
Kommen wir nun zu dem, was die Märkte nach vorne bewegen wird. An allererster Stelle steht die Zinspolitik der US-Notenbank. Hatte die Fed keinen unmittelbaren Einfluss auf die vergangenen Marktturbulenzen, so dürfte Ihr Handeln umso stärker die Märkte im dritten und vierten Quartal beeinflussen. Die Ankündigung von Fed-Chef Jerome Powell auf dem Notenbanker-Treffen in Jackson Hole letzte Woche hat die Tür für Zinssenkungen weit geöffnet. In seiner Rede hob Powell hervor, dass „die Zeit für eine Anpassung der Politik gekommen“ sei. Er führte die „Abkühlung der US-Wirtschaft“ als Begründung an. In den vergangenen Wochen hat sich vor allem der US-Arbeitsmarkt abgekühlt, den die Fed als wichtigen Indikator für den Zustand der Wirtschaft ansieht. Auch die Inflation hat sich im Juli in den USA deutlicher abgekühlt, als es erwartet worden war. Inzwischen liegt die Teuerung bei den Verbraucherpreisen bei 2,9 Prozent.
Zinssenkungen erwartet: Fed folgt dem globalen Trend
Als Politiker, die der Fed-Chef auch ist, versäumte er natürlich nicht den Disclaimer anzubringen, dass „Zeitpunkt und Umfang“ der Zinssenkungen von „eingehenden Daten und der Entwicklung der wirtschaftlichen Prognosen“ abhängen würden. Allerdings erwarten die meisten Ökonomen inzwischen drei Zinssenkungen in diesem Jahr um jeweils 0,25 Punkte, wie aus einer aktuellen Umfrage hervorgeht. Auch mehrere Fed-Vertreter haben sich inzwischen offen für eine Lockerung der Geldpolitik ausgesprochen. Mit einer zügigen Zinssenkung im September befände sich die US-Notenbank in guter Gesellschaft: Im dritten Quartal haben bisher die EZB, die Bank of England und die Schweizer Nationalbank die Zinsen gesenkt.
Aussicht auf einen goldenen Herbst: Ein Soft Landing für die US-Wirtschaft?
Machen die Daten der neuen Linie der US-Notenbank keinen Strich durch die Rechnung, bestehen gute Aussichten, dass die Fed-Verantwortlichen Ende Dezember die Korken so richtig knallen lassen können. Hatte die US-Notenbank noch im Mai 2021 mit ihrer Einschätzung gnadenlos daneben gelegen, die Inflation sei nur „transitory“, also in ihrer Dauer nur temporär, so könnte sie sich auf die Fahnen schreiben, in den 18 Monaten danach alles richtig gemacht zu haben. „Higher for longer“ (2023) und „die Zeit für Anpassungen ist gekommen“ (2024) wären im Ergebnis die richtigen Schritte gewesen, mit denen die Inflation in den Griff gebracht wurde. Die US-Wirtschaft schwächt sich ab, ohne in eine Rezession zu stürzen. Damit wäre das Ziel der Fed erreicht, dass das als unwahrscheinlich erachtete „Soft Landing“ der US-Wirtschaft tatsächlich eintritt. Stand heute haben US-Staatsanleihen um gut drei Prozent in diesem Jahr zugelegt, der S&P 500 liegt bei einem beachtlichen Plus von 19 Prozent. Fallen nun die Zinsen in den USA nachhaltig, dürften sowohl Aktien als auch Anleihen einen goldenen Herbst erleben.
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Dieser Beitrag stellt eine Meinungsäußerung und keine Anlageberatung dar.
Dieser Beitrag wurde zuerst auf der Internetseite thedlf.de unter https://thedlf.de/landing-me-softly-wie-die-us-notenbank-die-markte-treibt/ veröffentlicht.
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