Kaum ein Investment-Thema ist umstrittener als Emerging Markets Investments. Der autoritäre Weg Russlands und Chinas führt viele Anleger zur Gretchenfrage: Sind Schwellenländer überhaupt noch investierbar? Diese Art von Zuspitzungen und Top-oder-Flop Szenarien gehen auch darauf zurück, dass noch immer falsche Vorstellungen in unseren Hinterköpfen über Emerging Markets spuken. Zeit für ein wenig Myth-Busting.
1. Hohes Wirtschaftswachstum gleich hohe Performance
Diese These ist in ihrer Allgemeinheit falsch, hält sich aber hartnäckig – auch dank des Marketings der Finanzindustrie. Die Botschaft ist verlockend einfach: spannende, exotische Länder und Regionen, die stark wachsen, führen zu explodierenden Aktienkursen – seien Sie dabei! Die Realität zeigt uns immer wieder, dass das so einfach nicht ist. Es gibt diesen linearen Zusammenhang nicht. Auch nicht mittelfristig. Die Performance von Emerging Markets war in diesem Jahrtausend wechselhaft. Ausgerechnet in den vergangenen 15 Jahren, als das Marketing-Trommelfeuer besonders stark war, haben Schwellenländer eine überwiegend schwache Aktien-Performance gezeigt. Der untere Chart illustriert, dass nur bis 2008 mit Emerging Markets Aktien überlegene Renditen zu holen waren. Wer fünf Jahre investierte, wurde vor allem dank des Rohstoff-Superzyklus bis 2007 reich belohnt; ab 2008 waren Investments in den Industrieländern dagegen um Längen ertragreicher. Dass BIP-Wachstum und Aktien-Performance keinen systematischen Zusammenhang aufweisen, ist in der Finanzwissenschaft übrigens schon länger bekannt. Seit 2013 schauen Anleger bei Emerging Markets in die Röhre:
Zwei Faktoren machten Anlegern in Emerging Markets einen dicken Strich durch die Rechnung: die globale Finanzkrise, die dem Rohstoffboom ein jähes Ende setzte sowie der unwiderstehliche Aufstieg des Investmentstandorts USA mit der einhergehenden Stärke des US-Dollar, die so manchen Carry Trade unrentabel machten. Insbesondere die US-Zinspolitik hat die Kapitalströme in die Emerging Markets immer wieder durcheinander gebracht, mit verheerenden Folgen insbesondere für Länder mit hohen Leistungsbilanzdefiziten (Stichwort: Fragile Five). Anleger, die sich an volkswirtschaftliche Kennzahlen ausrichten, sollten also einen breiteren View einnehmen als rudimentäre BIP-Vergleiche und auf Faktoren wie Leistungsbilanzen, die Corporate Governance, Marktstruktur, Rechtssicherheit und politische Stabilität achten. In Zeiten steigender Zinsen gewinnen auch „technische“ Faktoren wie die Liquidität an Bedeutung.
2. Emerging Markets sind günstig bewertet und profitieren daher langfristig von der Value-Prämie
Auf den ersten Blick stimmt die Aussage: Unternehmen aus den Emerging Markets sind im Schnitt günstiger bewertet als die aus entwickelten Märkten. Das Forward-KGV im MSCI Emerging Markets liegt bei 11,8 gegenüber 16,5 beim MSCI World. Auch bei Kennzahlen wie der Dividendenrendite und dem Kurs-Buchwert leuchten die Value-Ampeln in den Schwellenländern grün. Dabei wird allerdings unterschlagen, dass das Durchschnittswerte sind. Eine Ebene tiefer sieht es bei den Sektoren ganz anders aus. Im MSCI Emerging Markets sind Rohstoffaktien mit einem KGV von 10,5 günstig, Financials sind nur mit dem 7,3-fachen des Gewinns noch günstiger bewertet, wohingegen Healthcare Aktien ein KGV von gut 30 haben. Dass der MSCI Emerging Markets in Summe günstig bewertet ist, liegt auch daran, dass Financials und Rohstoffe im EM-Index höher gewichtet sind als im MSCI World, wohingegen Healthcare Aktien ein deutlich niedrigeres Gewicht im MSCI Emerging Markets haben als im Industrieländer-Index MSCI World.
Die Bewertungen der MSCI Emerging Markets Sektoren im Vergleich:
3. Der MSCI Emerging Markets ist das EM-Pendant des MSCI World
Gerade ETF-Anleger haben in den vergangenen Jahren Emerging Markets entdeckt. Viele steigen im falschen Bewusstsein ein, dass sie damit Schwellenländer ähnlich breit abdecken, wie es bei Industrieländern der MSCI World leistet. Das ist nur halb richtig. Der MSCI World ist stark USA-lastig. Beim MSCI Emerging Markets dreht sich (fast) alles um Asien. Rund ⅔ des MSCI Emerging Markets entfällt auf Aktien aus Ostasien bzw. Greater China. Inklusive Indien macht der Südosten Asiens über 80 Prozent des Index-Gewichts aus. Osteuropa, Afrika, Nahost, Lateinamerika finden sich nur unter ferner liefen. Aber die Analogie zum MSCI World hinkt. Die USA stehen wie kein anderes Land für einen liberalen Finanzmarkt. Dagegen zeichnen sich Schwellenländer wie China durch große rechtliche wie regulatorische Unsicherheiten aus, und selbst Märkte wie Indien und Südkorea weisen Zugangsbeschränkungen für ausländisches Kapital auf.
Darüber hinaus hat der MSCI Emerging Markets das Manko, nicht repräsentativ für die große Masse an Ländern des globalen Südens zu sein. Er umfasst nur 24 Länder und Märkte. Es fehlen etliche aufstrebende Märkte wie Kasachstan, Vietnam, Marokko oder Rumänien. Die sind sogenannte Frontiermärkte. Von denen gibt es 32 Länder, die nicht im MSCI Emerging Markets enthalten sind. Für ETF-Investoren sind diese Länder auch nur teilweise über Frontier Markets Indizes erschließbar. So fehlen neun der 32 Frontier Markets etwa in der entsprechenden MSCI-Benchmark. Dort sind nur die liquidesten dieser Märkte vertreten. Bei Index-Investments stellt sich bei Schwellenländern also die Frage der Repräsentativität.
4. ETFs sind aktiv verwalteten Fonds auch in Emerging Markets überlegen
Auch wenn Fans der Effizienzmarkthypothese das ungern hören: Aktiv verwaltete Fonds haben bei Schwellenländer-Investments oftmals die Nase vorn. ETFs auf Schwellenländer-Indizes überzeugen selten – ganz im Gegensatz zu ETFs auf den MSCI World, S&P 500 oder MSCI Europe, die oft Bestnoten bei Fonds-Ratings bekommen, haben ETFs auf Schwellenländer-Indizes bestenfalls ein durchschnittliches Rendite-Risiko-Profil. Aktiv verwaltete Fonds können im Vergleich zu ETFs auf die gesamte Breite des Schwellenländer-Universums zurückgreifen, während Schwellenländer-ETFs auf die liquidesten Segmente beschränkt sind. Und Investmentvehikel, die eine kleinere Auswahl an Wertpapieren zur Verfügung haben, haben verringerte Performance-Chancen. Hinzu kommt, dass in weniger effizienten Märkten Fondsmanager ein leichteres Spiel haben, Informationen gewinnbringend zu verarbeiten und in Entscheidungen umzusetzen. Ein weiterer Nachteil von ETFs: Unter den großen Indexbestandteilen finden sich bei China-Aktien (früher auch: Russland-Aktien) oftmals Staatskonzerne, bei denen der Shareholder Value mutmaßlich nicht die oberste Mission ist. (Nicht belegbare These: Ich vermute, dass die Markteintrittshürden für aktiv verwaltete Fonds bei Schwellenländer-Investments höher sind als bei Fonds für entwickelte Märkte, was zu einer höheren Kompetenzdichte bei EM-Fondsmanagern führt.)
5. Emerging Markets Investments sind riskant
Die Aussage ist nicht falsch, aber für die Investment-Praxis insgesamt oft untauglich. Es kommt, wie immer, auf die Umstände, die Analyse und die Erwartungen an.
Dass Emerging Markets Aktien zwischen 2008 und 2023 eine Volatilität von 21 Prozent aufwiesen, während der DAX um 19 Prozent und der MSCI EMU um 18 Prozent schwankte, führt zu welcher Konsequenz? Gleiches gilt für den leicht höheren maximalen Verlust bei Emerging Marktes Aktien in diesem Zeitraum. Für sich genommen sind diese Kennzahlen bedeutungslos.
Wichtiger sind die politischen, regulatorischen und rechtlichen Risiken in Schwellenländern. Beispiele derartiger „Events“ gab es in jüngster Zeit etliche: Die erratische Geldpolitik des türkischen Präsidenten hat Euro-Anlegern, die in Lira denominierte Aktien oder Anleihen investiert hatten, in den vergangenen Jahren hohe Währungsverluste beschert. In China drohen mitunter ganze Wirtschaftszweige kaputt zu reguliert zu werden, und im Extremfall können Anleger – siehe Russland Aktien – sogar einen Totalverlust erleiden. Die systematischen Risiken haben bei Emerging Markets eine andere Qualität, und damit müssen Anleger lernen umzugehen, etwa indem sie anfangen, geopolitische Faktoren in ihren Research-Prozess einzubinden.
Müssen muss natürlich niemend, aber ich meine, dass es sich lohnt, sich mit Emerging Markets auseinanderzusetzen – wegen ihrer Portfolio-Eigenschaften. Sie tragen zur Diversifizierung bei. Die Performance von morgen kennt keiner, aber Emerging Markets können einen Beitrag zur Diversifikation leisten. Wussten Sie, dass Anleihen für lokale Emerging Markets Währungen im Jahr 2022 weniger als sechs Prozent verloren, derweil gut bewertete Euro-Anleihen zwischen 15 und 20 Prozent einbrachen? Das war kein einmaliges Ereignis. Die untere Grafik zeigt die Korrelationen zwischen DAX und anderen Aktien-Investments. Der DAX bewegt sich im Gleichklang mit Euroland-Aktien. Am niedrigsten war das Zusammenspiel mit dem MSCI Emerging Markets. Was für den Zehnjahreszeitraum gilt, lässt sich auch auf längere und kürzere Frist beobachten. Das zeigt, dass Schwellenländer aus Diversifikationsgründen einen festen Platz in den Portfolios von Anlegern in der Eurozone haben sollten.
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