Aktien, Anleihen, Rohstoffe: Wohin steuern die Märkte?

Sollte sich an den Märkten das „higher for longer“-Zinsszenario durchsetzen, dann könnte die anstehende Kältesaison auch für Investoren ungemütlich werden. Was das vierte Quartal für die verschiedenen Anlageklassen mit sich bringen könnte: Aktien, Anleihen, Rohstoffe.

Als die Märkte auf Hausse getrimmt waren

Lange Zeit herrschte eine sorglose Leichtigkeit bei Investoren vor. Noch vor wenigen Wochen blickten Anleger auf die beste Halbjahres-Performance vieler Aktienmärkte in Dekaden zurück. Allein der Nasdaq-Index hatte im ersten Halbjahr um rund 40 Prozent zugelegt. In der Zeit dürfte Cathie Wood die Übernahmepläne für den europäischen Spezialanbieter Rize ETF geschmiedet haben – nach dem Rebound vom Crash 2022 konnte sich die Highgrowth-Investorin wieder gute Vertriebschancen für Ark ETFs ausrechnen. Wir waren seinerzeit deutlich skeptischer, was die Fortschreibung des Trends im ersten Halbjahr anbelangte: 

„Anleger, die jetzt überlegen, in großem Stil einzusteigen, sollten ihre Erwartungen dämpfen. Wer jetzt von Gier gepackt investiert, nachdem die Märkte in einem Halbjahr bereits mehr als doppelt so viel gebracht haben wie in durchschnittlichen Aktienjahren, sollte sich zügeln. Zumal sich die fundamentale Lage der Unternehmen derzeit verschlechtert. Der mutmaßlich teuerste Anlegerfehler ist der Extrapolation Bias.“ 

Rückblickend bewies der US-Anleihenmanager Pimco mit seinen Warnungen ein gutes Timing. Die Weltwirtschaft steuere auf eine „harte Landung“ zu, so der Chefanleger der Allianz-Tochter, Daniel Ivascyn. Die Märkte seien zu optimistisch, dass die Notenbanken den Spagat schaffen könnten, zugleich die Inflation zu bekämpfen und der Weltwirtschaft eine Rezession zu ersparen. Die Botschaft Pimcos kam am Rande des Notenbanker-Treffens im portugiesischen Sintra, wo die Botschaft „higher for longer“ angedeutet wurde. Anleger zuckten mit den Achseln und kauften weiter Risikopapiere. Zunächst. 

Das änderte sich nach den ersten Rücksetzern im August, spätestens im September. An der Börse markierte der meteorologische Herbstanfang am 1. September den Beginn der kühlen Jahreszeit. Seitdem haben viele Aktien-Benchmarks wie der MSCI World, S&P 500 und DAX rund fünf Prozent (in lokaler Währung) verloren, Schwellenländer-Aktien sackten um acht Prozent ab, nur britische und japanische Aktien hielten sich relativ stabil. 

Die Inflation ist nach den Worten von Bundesbankchef Joachim Nagel immer noch  ein „gieriges Biest“, zugleich zeigt sich die US-Wirtschaft robust, was bedeutet, dass „higher for longer“ zum zentralen Szenario im vierten Quartal wird. Besonders stark ausgeprägt ist derzeit der Renditeanstieg an den Anleihenmärkten weltweit, der sich zu einem unguten Treiber entwickelt. Was diese Gemengelage für Aktien, Renten, Rohstoffe bedeutet.

Aktien: Viele Verlierer am Horizont

Aktien sind ein guter Inflationsschutz, und für Unternehmen sind höhere Zinsen bzw. höhere Inflationsraten per se nichts Schlimmes, da sie oft in der Lage sind, die höheren Kosten auf Kunden und Verbraucher abzuwälzen. Die Frage ist nur, wann die Zinsen zu Belastung werden. Bisher halten sich die Refinanzierungskosten in Grenzen – insbesondere bilanzschwache Unternehmen haben die Niedrigzinsphase genutzt, um sich zu sehr günstigen Kosten zu refinanzieren. Was passiert, wenn die Notenbanken noch bis weit ins nächste Jahr die Zinsen hochhalten werden? 

Wenn die Zinskosten steigen, machen sie einen Unterschied bei den Unternehmensgewinnen. Die US-Fed hat ermittelt, dass langfristig 40 Prozent der Earnings in den USA eine Funktion von Zinsen und Steuern sind. Gerade in den Jahren 2025 und 2026 stehen bei vielen Unternehmen Refinanzierung-Runden an. Im bisherigen Zins-Szenario erschien das unproblematisch. Schiebt sich der Zinszyklus dagegen nach hinten, könnte es für einige eng werden. Aktuell werden am US-Highyield-Markt Renditen von über neun Prozent notiert. Das sind rund 400 Basispunkte mehr als noch vor zwei Jahren. 

Was für viele Sektoren noch Zukunftsmusik ist, erleben andere als bittere Realität. US-Regionalbanken haben in den vergangenen zwei Monaten bereits 15 Prozent an Kurseinbußen erlebt, Versorger verloren seit August gut zehn Prozent. 

Angesichts der hohen staatlichen Ausgaben – Stichwort Dekarbonisierung der Wirtschaft – ist auch von einer steigenden steuerlichen Belastung der Unternehmen auszugehen, nicht nur in den USA, sondern weltweit und vor allem in den Industrieländern. Die Rahmenbedingungen verschlechtern sich also. Bereits seit drei Quartalen überwiegt bei den Unternehmen im S&P 500 eine negative Earnings-Guidance, wie FactSet zuletzt in seinen regelmäßigen Auswertungen ermittelte. Besonders stark überwiegt derzeit die negative Guidance in den Sektoren Pharma und Versorger, zwei Sektoren, die besonders stark verschuldet sind. Während Versorger bereits kräftig nachgegeben haben, halten sich Pharmawerte an der Börse noch relativ stabil. 

Es gab noch einige weitere prominente Verlierer. In den vergangenen beiden Monaten haben auch Highgrowth-Aktien kräftig eingebüßt. Prominente Fonds, die auf disruptive Tech-Werte setzen, etwa der 10XDNA Disruptive Technologies oder der ARK Innovation ETF, verloren zwischen 15 und 20 Prozent, nachdem sie im ersten Halbjahr im Growth-Aufwärtstrend mitgeschwommen waren. Zu den weiteren Verlierern zählen in der Post-Sintra-Phase Nebenwerte. Bemerkenswert ist, dass US-Value-Aktien kräftiger verloren haben als die Growth-Werte im Russell 1000 – knapp sieben Prozent gegenüber gut drei Prozent Minus. Anleger sollten auch den Energie-Sektor im Blick behalten. Bis Ende September kratzte der Ölpreis an der 100 Dollar-Marke. Das trug zu einer stabilen Performance von Ölaktien bei. Seitdem sich Rezessionsängste breitmachen, ist der Ölpreis auf rund 80 Dollar abgesackt, und Ölaktien zählen seit Anfang Oktober zu den prominenten Verlierern unter den MSCI-Welt-Sektoren.

Performance in der Post-Sintra-Welt

Performance in Prozent, Dollar und per 5.10.2023, Quelle: Morningstar

Es sieht aktuell für Aktienanleger also nach einem Nowhere-to-Hide-Markt aus.

Anleihen: Das verflixte dritte Jahr

Wenig bemerkt geblieben ist, dass Anleihen schon seit 2021 kontinuierlich verlieren. Das ging im Jahrhundert-Crash 2022 unter. Nach einem ordentlichen Rebound im ersten Halbjahr setzt sich diese Entwicklung nunmehr in der zweiten Jahreshälfte fort. Der breite US-Treasury-Markt gibt bereits seit Juli nach – gut drei Prozent waren es zwischen Juli und September. Besonders hart traf es länger laufende Papiere. Laufzeiten von über zehn Jahren verloren über 11,5 Prozent in Dollar gerechnet. In diesem Monat hat sich die Korrektur bei allen US-Rentensegmenten – bis auf die Laufzeiten von 1-3 Jahren – beschleunigt. Auch Euro-Anleihen korrigieren. Die Verluste der letzten Monate haben das Plus im vielbeachteten Bloomberg Euro Aggregate Bond in diesem Jahr auf 0,17 Prozent schrumpfen lassen. Ein Rebound nach dem Crash 2022 sieht anders aus. 

Für Anleger hat die Entwicklung an den Rentenmärkten eine ärgerliche, eine bedrohliche und eine rätselhafte Folge. Die ärgerliche ist einfach erklärt. Schreiben wir die laufende Entwicklung fort, dann werden erneut Aktien und Anleihen zeitgleich Verluste verbuchen.  Das weckt Erinnerungen an das Jahr 2022, als klassische gemischte Portfolios, und zwar insbesondere die vermeintlich defensiven, zweistellige Verluste erlitten. Ein typisches Aktien-Anleihen-Portfolio (50 Prozent MSCI World: 50 Prozent Bloomberg Euro Aggregate) liegt dieses Jahr nur noch dank der neuerlichen Euro-Schwäche mit gut 5,5 Prozent im Plus. In den vergangenen zwei Monaten verloren dieses Mischportfolio bereits 1,5 Prozent. Das klingt harmlos, aber ohne Währungsgewinne für Euro-Investoren hätte das Minus bei 6,3 Prozent gelegen. Das ist nicht trivial. 

Schwerer zu lesen sind dagegen die mittelbaren Folgen. Starke Renditeanstiege setzen nicht nur gehebelte Geschäftsmodelle wie Banken, Versorger, Telecoms und Pharma unter Druck, sondern könnten unabsehbare Folgen für institutionelle Anleger wie Pensionskassen und andere Versorgungseinrichtungen haben. Bereits im Jahr 2022 kam es in Großbritannien zu einer Kernschmelze bei den sogenannten LDI-Modellen, die zur Renditeoptimierung langlaufende Anleihen gehebelt hatten und angesichts steigender Renditen nachschießen mussten. Nur ein Eingreifen der Bank of England verhinderte Schlimmeres. Auch Hedgefonds gerieten seinerzeit unter Druck. Gerade bei diesen wenig transparenten Investorengruppen besteht die Gefahr, dass man eine Krise erst dann bemerkt, wenn sie sich jenseits des Point of no Return bewegt. 

Schlussendlich wirft der Renditesprung bei langlaufenden Anleihen und die damit verbundene Abflachung der bis dato inversen Zinskurve Rätsel auf. Dass kurzlaufende Anleihen höher rentieren als langlaufende, ist in einem Rezessionsszenario stimmig. Anleger gehen dann davon aus, dass die Zinsen langfristig tiefer sein werden als die aktuellen. Dass sich diese Situation nun umkehrt, signalisiert, dass Anleger damit rechnen, dass es der US-Monsterkonsument doch richten und eine Rezession vermieden wird. Es könnte aber auch sein, und das wäre ein schlechtes Zeichen, dass die steigenden Renditen für eine Neueinschätzung der Bonitätslage von bisher unverdächtigen Schuldnern stehen. Die US-Staatsverschuldung ist in den vergangenen Jahren dramatisch gestiegen, und dass man seit 2012 weniger von der weichen Euro-Südflanke gesprochen hat, muss nicht heißen, dass Italien, Spanien und auch Frankreich über den Berg sind.

Rohstoffe: Im Zweifel auf der Bärenseite

Der Umschwung hätte nicht krasser ausfallen können. Im zweiten Quartal hatten Energie-Futures um knapp 30 Prozent auf Dollarbasis zugelegt. Auch breit gestreute Rohstoffkörbe lagen mit rund 16 Prozent deutlich im Plus. Das hat sich in diesem Monat umgekehrt. Energie in Gestalt des S&P GSCI Energy fiel um rund neun Prozent, der breiter aufgestellte S&P GSCI gab um knapp sechs Prozent nach. Dahinter steht vor allem ein rapider Verfall des Ölpreises von gut 95 Dollar pro Barrel auf aktuell 82 Dollar. Seit Jahresanfang liegen Rohstoffe nur noch minimal im Plus. Ähnlich sieht es beim Goldpreis aus, obwohl sich das Minus von 2,6 Prozent im Oktober noch in Grenzen hält.

Heißer Herbst für Rohstoffe: Ölpreis bricht im Oktober ein

Performance in Prozent, Dollar und per 5.10.2023, Quelle: Morningstar

er rapide Verfall der Ölpreise erwischte viele Anleger auf dem falschen Fuß, da sie bisher davon ausgingen, dass der Ölpreis über 100 Dollar steigen würde. Das neue Diktatoren-Duo Saudi-Arabien und Russland schien sich durch Einschnitte bei der Förderung am Markt durchzusetzen. Die aufkommenden Rezessionsängste scheinen aber eher den Ausschlag zu geben. Dass Rohstoffe und Gold an Attraktivität verloren haben, dürfte auch daran liegen, dass das von der Bundesbank beschworene „Inflationsbiest“ auf dem Rückzug ist. Und schließlich machen die Zinsmärkte Rohstoffen Konkurrenz. Wer am kurzen Ende fast risikolos fünf Prozent verdienen kann, dürfte wenig Lust auf eine Nullzins-Goldspekulation haben.

Zauberhafter Ausblick auf den Herbstnebel

Aktien, Renten, Rohstoffe: Es braut sich eine ungute Gemengelage über den wichtigsten Risikomärkte zusammen. Die positive Performance des ersten Halbjahres könnte sich im Nachhinein als defensiver Puffer entpuppen, der verheerende Verluste im vierten Quartal abfedert. Seit dem “Startschuss” der Notenbanken in Sintra haben alle drei wichtigen Assetklassen Verluste verzeichnet. Erinnerungen an das Jahr 2022 werden wach, wobei es im vierten Quartal noch schlimmer kommen könnte – 2022 war schließlich das Jahr der Rohstoffe, Ölwerte und der inflationsindexierten Anleihen. Wir könnten also vor einem Nowhere-to-Hide-Markt stehen. Vergegenwärtigt man sich, dass die Kombination aus schwachen Wachstum und Inflation für alle Anlageklassen gift ist – die alten Hasen erinnern sich an die Zeit der “Stagflation” in den 1960-er und 1970-er Jahren. 

Auf der anderen Seite fällt es angesichts der Erfahrungen der vergangenen zehn, 15 Jahre schwer, sich einen lang anhaltenden Crash vorzustellen. Die Marktzyklen sind kürzer geworden, wie auch der Hang der Staaten und Notenbanken, kurzfristig bei drohender Gefahr einzugreifen. Das war 2018 der Fall, als die US-Notenbank eine Wende bei der Zinswende vollzog; 2020, als es galt, der Corona-Krise entgegenzuwirken und 2022 stand im Zeichen massiver staatlicher Hilfen gegen die Folgen der steigenden Energiepreise. Die Turbo-Kapitalisten und Bond Vigilantes werden schäumen, aber die Nanny-Staaten und -Notenbanken werden bei einer akuten Krise aktiv. 

Und vermutlich wird es gar nicht erst so weit kommen. Dass Aktien und Rohstoffe im Duett fallen, mag lange Zeit anhalten, aber dass Anleihen ebenfalls ein erneutes Armageddon erleben wie 2022, erscheint angesichts des derzeitigen Renditeniveaus unwahrscheinlich. Zumal die Inflation beständig sinkt und die Inflationserwartungen nicht von der Rückkehr der Teuerung künden. Es könnte gut sein, dass sich kaum ein Anleger in der Rückschau daran erinnern wird, dass im Herbst 2023 alle drei großen Anlageklassen wackelten – außer diejenigen, die investiert geblieben sind oder Kaufchancen nutzten und Investments im Angesicht fallender Kurse tätigten.

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