Anleger in China Aktien haben in dieser Woche eine Tal- und Bergfahrt erlebt, die ihresgleichen sucht. Erschien China zu Beginn der Woche “nicht investierbar” (JPMorgan), so lassen die chinesischen Regulierungsbehörden und die Entwicklungen in der Ukraine eine Wende zum Besseren erhoffen. Warum wir inzwischen für China sehr viel positiver gestimmt sind.
So oder so ähnlich muss der perfekte Sturm – oder besser gleich: Taifun – für den chinesischen Aktienmarkt aussehen. Der Krieg in der Ukraine. Eine schwächelnde einheimische Wirtschaft. Landesweite Covid-bedingte Ausgangssperren. Regulatorischer Druck nicht nur von der chinesischen Regierung sondern auch aus den USA. Und dann kommt am Dienstag die amerikanische Investmentbank JPMorgan und stuft 28 chinesische Internetaktien auf “underweight” ab und erklärt den ganzen Sektor für “uninvestable” in den nächsten sechs bis zwölf Monaten. Das Kursziel für Alibaba (BABA) wird gleich einmal von 180 Dollar auf 65 Dollar herabgesetzt. Das darauffolgende Blutbad hätte kaum schlimmer ausfallen können.
Der Nasdaq Golden Dragon China Index verlor in drei Tagen 29 Prozent und liegt jetzt auf dem niedrigsten Stand seit 2013. Im Vergleich zu seinem Höchststand im Februar letzten Jahres hat er mittlerweile über 70 Prozent eingebüßt. Der Hang Seng Chinese Enterprise Index in Hongkong fiel gar auf seinen tiefsten Wert seit 2008. Alibaba ist in den USA mit gegenwärtig 76 Dollar pro ADR auf sein Niveau von Juli 2016 zurückgekehrt und gerade mal noch 200 Milliarden Dollar wert. Bei Tencent und Alibaba zusammen sind seit Februar 2021 mehr als eine Billion Dollar an Marktbewertung “verdampft”, wie chinesische Analysten gern zu sagen pflegen.
Aber auch die einheimischen chinesischen Börsen hat es übel erwischt. Solange es nur um die chinesischen Internetwerte ging, blieb der chinesische A-Share Markt in der Regel verschont. Mit der neuen landesweiten Omnikron Welle und drohenden “sekundären” Sanktionen aus dem Russland-Ukraine Krieg ist dies allerdings vorbei. Der Shanghai Composite Index verlor seit dem 3. März mehr als zwölf Prozent. Ebenso erging es der jungen Shanghaier Techbörse STAR Market. Und all dies, wohlgemerkt, während der heißen Phase des jährlich tagenden Nationalen Volkskongresses in Peking. Bei derartigen Kursverlusten war in der Vergangenheit während wichtiger politischer Ereignisse immer das sogenannte “National Team” ausgerückt, um mit massiven Käufen am Markt die einheimischen Börsen zu stützen. Davon war dieses Jahr nichts zu spüren. Fest steht jedenfalls, dass die jetzige Krise vom Sentiment getrieben und völlig losgelöst von den Fundamentals stattfindet. Denn die Berichtssaison ist im großen und ganzen bisher sehr positiv verlaufen.
Quelle: Kraneshares Webseite
Es lohnt sich also mal hinter die Kulissen zu schauen, um die verschiedenen Faktoren und ihren tatsächlichen Einfluss auf das zukünftige Potential der chinesischen Aktien besser zu verstehen.
Faktor 1: China ADRs und das drohende Delisting
Die US-Börsenaufsichtsbehörde SEC hat am Donnerstag letzter Woche fünf in den USA notierte chinesische Unternehmen identifiziert, die sich nicht an den Holding Foreign Companies Accountable Act (HFCAA) halten. Der HFCAA war Ende 2020 verabschiedet worden als quasi letzte Amtshandlung von Donald Trump und wurde maßgeblich durch den Accounting Skandal der an der Nasdaq gelisteten chinesischen Kaffeekette “Luckin Coffee” auf den Plan gerufen. Das Gesetz zielt darauf ab, chinesische Unternehmen daran zu hindern, an US-Börsen notiert zu sein, wenn sie die Prüfungsanforderungen des Public Company Accounting Oversight Board (PCAOB) hinsichtlich ihrer chinesischen Audit Arbeitspapiere für drei aufeinanderfolgende Jahre nicht erfüllt haben. Zu den fünf Unternehmen gehören das Fast-Food Restaurant Unternehmen Yum China Holdings Inc, der Halbleiterhersteller ACM Research Inc und die Biopharma Unternehmen BeiGene Ltd, Zai Lab Ltd und Hutchmed (China) Ltd.
China ist das einzige Land, das die PBAOC Anforderungen nicht erfüllt.
Nicht nur die betroffenen Unternehmen sondern alle chinesischen Aktien am US-Markt mussten massive Kursstürze hinnehmen. Der Nasdaq Golden Dragon Index verlor innerhalb weniger Stunden mehr als zehn Prozent an Wert. Sogar der Hang Seng Tech Index in Hongkong wurde am nächsten Morgen zu Handelsbeginn in Mitleidenschaft gezogen und gab um mehr als vier Prozent nach. Natürlich handelt es sich hier um eine massive Überreaktion. Und wirklich notwendig war der Sensationsjournalismus um diese Routinehandlung tatsächlich nicht. Seit Anfang 2021 ist hinreichend bekannt, dass die Dreijahresfrist zu laufen begonnen hat. Die ersten Delistings werden, wenn überhaupt, erst 2024 stattfinden können. Es sei denn, dass hier, wie bereits verlautet wurde, noch einmal vom Gesetzgeber nachgearbeitet wird und dieses Ereignis auf 2023 vorgezogen wird.
Diese Liste wird in den nächsten Monaten beständig um neue Namen anwachsen, denn bisher ist keine der in den USA gelisteten chinesischen Unternehmen in der Lage, die Anforderungen des HFCAA zu erfüllen. Warum? Paragraph 177 Absatz 2 des chinesischen Wertpapiergesetzes verbietet es den Unternehmen:
“Die Wertpapieraufsichtsbehörden anderer Länder oder Regionen führen im Hoheitsgebiet der Volksrepublik China keine direkten Ermittlungen und Beweiserhebungen durch. Ohne die Zustimmung der Wertpapieraufsichtsbehörde des Staatsrats und der zuständigen Behörden des Staatsrats darf keine juristische Person oder Einzelperson Dokumente oder Materialien im Zusammenhang mit Wertpapiergeschäften ohne Genehmigung an andere Länder oder Regionen weitergeben.”
Ein Verstoß käme der Weitergabe von Staatsgeheimnissen an ausländische Regierungen gleich. Die China Securities Regulatory Commission (CSRC), die oberste Wertpapieraufsichtsbehörde des Landes, reagierte prompt mit einer Pressemitteilung am letzten Freitag und bestätigte, dass die CSRC kürzlich Gespräche und Dialoge mit dem PCAOB geführt hat und positive Fortschritte erzielt wurden. Dass dies in der Tat so ist, wurde Anfang der Woche dann auch von der PCAOB selber bestätigt.
Faktor 2: Chinas Tech Regulierer
Zu Hause ergeht es den chinesischen Internetunternehmen auch nicht viel besser. Eigentlich bestand ja die Hoffnung, dass nach dem brutalen Durchgriff 2021 nun ruhigeres Fahrwasser für 2022 anstehen würde. Aber leider mehren sich die Anzeichen in den ersten drei Monaten dieses Jahres, dass daraus vielleicht doch nichts wird: Didi wird weiterhin der Börsengang in Hongkong verweigert. Die Ant Group darf sich auch keine Hoffnung auf einen baldigen IPO machen. Tencent steht angeblich ganz oben auf der Liste für die nächste große Geldstrafe wegen Vorwürfen der Geldwäsche bei Wechat Pay. Und Social Media Plattform Douban hat seit Mittwoch Langzeit-Besuch von der obersten Cybersicherheitsbehörde, weil angeblich “schweres Online Chaos” bei ihren Webinhalten behoben werden muss. Inhouse Zensurtraining findet da wohl jetzt statt. Der letzte “Bösewicht”, dem diese zweifelhafte Ehre zuteil wurde, war Didi im Juli letzten Jahres.
Faktor 3: Covid-Zero für immer?
China kam als erstes Land siegreich aus der Covid Pandemie heraus. Chinas Führer haben diese Politik und ihren relativen Erfolg bei der Kontrolle von Covid immer wieder mit der Überlegenheit des chinesischen Systems gegenüber dem der westlichen Demokratien gleichgesetzt, in denen sich das Virus zügellos ausgebreitet habe. Eine solche Rhetorik hat sich nicht nur in den chinesischen Staatsmedien abgespielt, sondern sie war auch Teil von Xi Jinpings Propaganda, die China als ein beispielhafter globaler Führer und eine Kraft für das Gute zeigen sollte.
Doch wie beim Fußball gilt auch während jeder lang anhaltenden Pandemie: nach Covid ist vor Covid. Und die insbesondere in Wirtschaftsbelangen freudenreiche Siegesrunde war aus heutiger Sicht wohl entschieden verfrüht. Jetzt ist es offiziell: Covid hat ein echtes Comeback in China. Die in der vergangenen Woche verzeichneten Fallzahlen stellen Chinas schlimmsten Covid-19 Ausbruch seit Wuhan 2020 dar. Zwischen letztem Dienstag und diesem Montag gab es in China 8159 neue im Inland übertragene symptomatische Infektionen, ein deutlicher Anstieg gegenüber 852 in der Vorwoche. Daneben gab es 6258 neue im Inland übertragene asymptomatische Infektionen zu verzeichnen, ein deutlicher Anstieg gegenüber 983 Fällen in der Vorwoche.
Shenzhen ist als ganze Stadt vollständig im “Lockdown”. Ebenso die als Werkbank der Welt bekannte Fabrikstadt Dongguan. Der Hälfte der chinesischen Provinzen geht es nicht anders, besonders die Provinz Jilin im Nordosten Chinas ist schwer betroffen. Selbst Shanghai ist teilweise in bestimmten Stadtgebieten wie Xuhui mit Ausgangssperren belegt. Tesla hat in seinem dortigen Werk die Produktion für zwei Tage ausgesetzt und mit Massentestungen begonnen. Foxconn hat die Produktion in Shenzhen runtergefahren. Glücklicherweise produziert Apple dort nur noch weniger als 20 Prozent seiner iPhones, iPads, Macs und iWatches. Angestellte in großen Unternehmen mit Hauptsitz in Shenzhen wie Tencent, Huawei und BYD müssen vorerst für eine Woche von zuhause arbeiten.
Im Vergleich zum Westen und zu Chinas eigener Bevölkerungsgröße sind oben genannte Fallzahlen zwar sehr klein, aber dennoch hoch genug, um Zweifel an der bisherigen Covid-Zero Strategie aufkommen zu lassen. So zeigen sich zum ersten Mal Risse in der vormals unverletzbar geglaubten Covid-Zero Policy der chinesischen Regierung. In China spürt man kleinste Veränderungen daran, wie sich die Terminologie ändert. Seit kurzer Zeit wird nicht mehr von “Covid-Zero” 清零 (qīng líng) sondern “dynamischer Covid-Zero” 动态清零 (dòngtài qīng líng) gesprochen. Am Freitag genehmigte der Staatsrat Covid-19 Antigentests für den öffentlichen Gebrauch und veröffentlichte Versuchsregeln für ihren Einsatz, da sie leichter erhältlich und kostengünstiger sind als die in China gängigen PCR Tests. Auch Pfizers Pavloxid soll jetzt zum Einsatz kommen.
Insbesondere ältere Menschen in China und Hongkong lassen sich aus Angst vor westlicher Medizin und ihren Nebenwirkungen sowie einem starken Glauben an traditionelle chinesische Medizin nicht impfen.
Am Montag veröffentlichte der Experte für Infektionskrankheiten, Zhang Wenhong, einen langen Beitrag in den sozialen Medien. Er ist in China nicht irgendjemand, sondern Direktor des Nationalen Zentrums für Infektionskrankheiten, Abteilungsleiter eines Krankenhauses in Shanghai und ein politischer Berater der Stadtregierung von Shanghai und darüber hinaus so etwas wie ein vertrauenswürdiger Influencer auf Chinas sozialen Medien. Er gab zu, dass Massentests und Ausgangssperren in ganzen Städten nicht für immer aufrechterhalten werden können. Um zu einem normalen Leben mit dem Virus zurückkommen und insbesondere den Schutz älterer und ungeimpfter Menschen garantieren zu können, braucht China seiner Meinung nach ausreichende Auffrischungsimpfungen für ältere Menschen, bessere mRNA-Impfstoffe, erschwingliche und zugängliche Testkits für zu Hause, differenzierte Behandlungs- und Hospitalisierungsstrategien je nach Schweregrad sowie verbesserte häusliche Quarantäne Verfahren. Sein Post ist bisher nicht gelöscht worden und viele sehen in dem Maßnahmenkatalog einen Weg zurück zur Normalität und einem Leben mit Covid.
Dass der Vorschlag nicht auf taube Ohren gefallen ist, zeigte sich am Dienstag, als das Gesundheitsministerium der VR China geänderte Richtlinien für die Behandlung von Covid-19 Patienten herausgab. Ab sofort werden asymptomatische Fälle und Personen mit leichten Symptomen nicht mehr ins Krankenhaus eingeliefert, sondern in zentralisierte Einrichtungen für Quarantäne gebracht. Dazu muss man sagen, dass die meisten Covid-Fälle in China entweder mild oder asymptomatisch sind. Zum Beispiel haben am Dienstagmorgen Gesundheitsbeamte im staatlichen Fernsehen CCTV bekannt gegeben, dass über 95 Prozent der über 8200 Covid-Patienten in der Provinz Jilin in diese beiden Kategorie fallen.
Faktor 4: Russland und China
Als vor vier Wochen russische Panzer, Soldaten und Kampfflugzeuge von mehreren Seiten in die Ukraine vordrangen, fragten sich viele China Beobachter, ob Xi Jinping hier mitgespielt habe oder selber von Putin ausgespielt worden sei. Bereits Tage vor der Invasion hat Peking Berichte des US-Geheimdienstes öffentlich zurückgewiesen und abgewiegelt, dass ein russischer Angriff auf seinen Nachbarn unmittelbar bevorstehe. Die Optik war allerdings alles andere als gut. Xi Jinping und der russische Präsident Wladimir Putin hatten Anfang Februar eine gemeinsame Erklärung von 5000 Wörtern unterzeichnet, die einen Ausdruck ihrer gemeinsamen Missbilligung der NATO enthielt. Das Treffen zwischen den beiden Präsidenten fand anlässlich der Eröffnung der Winterolympiade in Peking statt und war das erste persönliche Treffen eines anderen Staatsoberhaupts mit Xi Jinping in knapp zwei Jahren. Dass es dabei auch um Lieferverträge für Öl und Gas im Wert von mehr als 180 Milliarden Dollar ging, darf hier ebenfalls nicht vergessen werden.
Während die Meinungen darüber auseinandergehen, wie viel Xi über Putins wahre Pläne gewusst haben könnte, wird Chinas Position zunehmend unhaltbar. Die täglichen Verlautbarungen aus dem Außenministerium ähneln den Verrenkungen, die man im chinesischen Zirkus für Akrobatik mit physischem Unbehagen beobachten kann. Das Wort Invasion oder gar Krieg wird nicht in den Mund genommen, sondern stattdessen das Putinsche Vokabular von der “speziellen militärischen Operation” kritiklos übernommen. Immer wieder wird darauf hingewiesen, dass China die “Entwicklungen in der Ukraine” mit großer Sorge beobachte. Man poche darauf, dass beide Seite Ruhe bewahren und eine friedliche Lösung des Konfliktes durch Verhandlungen anstreben müssten. China sei hier offen, unabhängig und transparent. Die Sanktionen der westlichen Welt sind für China als Mittel zur Beendigung des Krieges inakzeptabel.
China ist in dieser Sache aber ganz und gar nicht neutral. Bereits am zweiten Kriegstag gab es ein Telefonat zwischen Xi und Putin, in dem China unter anderem Putin für seinen Besuch zur Olympiade dankt und zum hervorragenden Abschneiden im Medaillenspiegel gratuliert. Ein Gespräch mit Zelenskiy hat es bis heute nicht gegeben und das obwohl der ukrainische Präsident so ziemlich jeden Tag mit Staatsoberhäuptern aus der ganzen Welt kommuniziert. In den einheimischen sozialen Medien ist jede Russland Kritik verboten und pro-ukrainische Posts werden kontinuierlich zensiert. Dass das System hat, zeigt eine aus Versehen auf Weibo gepostete (und in wenigen Minuten wieder gelöschte) interne Anweisung von Seiten staatlicher Medien, wie diese konkreten Instruktionen umzusetzen seien.
Ich schaue, nicht wirklich aus Vergnügen, aber dennoch regelmäßig die chinesischen Abendnachrichten auf dem staatlichen Sender CCTV-13 und was sich einem dort in Sachen Ukraine Berichterstattung bietet, ist mehr als gruselig. Fast alle Nachrichten kommen vom russischen Verteidigungsministerium und das Segment beginnt meist damit, wie viele ukrainische Militäreinrichtungen in den letzten 24 Stunden unschädlich gemacht worden sind. Bilder von den Bombardierungen der zivilen Einrichtungen wie Schulen, Kindergärten und Krankenhäusern und dem Leid der einfachen Bevölkerung sieht man fast gar nicht. Statt dessen aber jede Menge Aufnahmen, wie russisches Militär Nahrungsmittel an Ukrainer verteilen und russische Busse zur Evakuierung bereitstellt. Bei letzterem wird dann auch darauf hingewiesen, dass die ukrainische Seite angeblich ihre Bevölkerung nicht auf diese Fluchtmöglichkeiten hinweist. Alles recht perfide, und so wundert einen die überwiegend pro-russische Stimmung unter den chinesischen Netzbürgern nicht mehr.
Letztlich betrachtet China den Krieg in der Ukraine immer nur durch die Linse der geopolitischen Rivalität mit den USA. Ständig wird darauf hingewiesen, dass die USA und die NATO die eigentlichen Kriegstreiber seien. Der ursprünglich von russischen Propaganda Einheiten lancierte Vorwurf, dass die USA Biowaffen in der Ukraine entwickele, werden in den chinesischen Staatsmedien rauf und runter gespielt. Natürlich ist es in Chinas Interesse, dass die Amerikaner auch weiterhin im Rahmen der Ukraine Invasion polit-strategisch in Europa gebunden sind und sich weniger auf China konzentrieren können.
Doch all dies birgt auch jede Menge Risiken für China. Einerseits könnten beteiligte chinesische Unternehmen von sekundären Sanktionen betroffen sein, wenn sie gegen eine Reihe strenger Sanktionen verstoßen, die der Westen gegen Russland verhängt hat. Dringlicher ist jedoch das Risiko, dass Pekings Haltung die Beziehungen zwischen China und seinen wichtigsten Handelspartnern im Westen untergraben könnte. Schon vor dem Einmarsch Russlands in die Ukraine waren diese Beziehungen erheblichen Belastungen ausgesetzt. Washington und Peking streiten seit mehreren Jahren über Themen wie Handel, Taiwan und Chinas Menschenrechtslage insbesondere in Xinjiang. Und es gab Anzeichen dafür, dass sich Europa in eine ähnliche Richtung zubewegt.
Dass die Meinungslandschaft doch nicht so monolithisch gebaut ist, wie es auf den ersten Blick scheint, kann man jetzt immer häufiger beobachten. Ein Beispiel für diese unterschiedlichen Meinungen zeigte sich in einem letzte Woche veröffentlichten Kommentar des in Shanghai ansässigen Gelehrten Hu Wei 胡伟, stellvertretender Vorsitzender des Public Policy Research Center des Beraterbüros des Staatsrates:
„Wenn China keine proaktiven Maßnahmen ergreift, um darauf zu reagieren, wird es auf weitere Eindämmung durch die USA und den Westen stoßen. China sollte es vermeiden, beide Seiten im selben Boot zu spielen, sollte seine Neutralität aufgeben und die Mainstream-Position in der Welt wählen……China darf sich nicht an Putin binden und sollte sich so schnell wie möglich von ihm losschneiden“.
Dass der Post innerhalb kurzer Zeit nicht mehr auffindbar war versteht sich von selbst. Von den übelsten Beschimpfungen, die folgten, soll hier nicht weiter die Rede sein. Ähnlich erging es im übrigen den Unterzeichnern eines offenen Briefes, fünf renommierte Geschichtsprofessoren, die sich kritisch mit Russlands Rolle auseinandersetzten.
Alles wird jetzt davon abhängen, ob China sich zu Waffenlieferungen an Russland hinreißen lässt oder nicht. Die Vorwürfe der USA in dieser Hinsicht wiegen schwer. Ich gehe davon aus, dass dies nicht geschehen wird. Zwar gibt es ein fast schon brüderliches Verhältnis zur gegenseitigen Unterstützung mit Russland. Dennoch überwiegen letztlich für China die ökonomischen und diplomatischen Vorteile, sich nicht komplett auf die Seite Russlands zu schlagen. Der Kommentar von Chinas Außenminister Wang Yi am Dienstag in einem Gespräch mit seinem spanischen Amtskollegen verrät einiges:
„China ist weder Partei in dieser Krise noch will es, dass die Sanktionen China treffen.“
China hat mittlerweile humanitäre Hilfe an die Ukraine gesendet, die mithilfe des chinesischen Roten Kreuzes über Polen ins Land gebracht worden ist. Gerade in Anbetracht der fortschreitenden Friedensverhandlungen wird es immer unwahrscheinlicher, dass sich China in seiner gewählten Rolle als neutrale Friedenspartei durch leichtsinnige Waffenexporte nach Russland anderer strategischer Optionen im Westen beraubt. Der neue chinesische Botschafter in den USA, Qin Gang, hat dieser Tage einen beachtenswerten Gastkommentar in der Washington Post veröffentlicht. Um das Thema abzuschließen, will ich hier noch kurz ein Zitat von Ren Zeping 任泽平, einem der bekanntesten Ökonomen der VR China mit beachtlicher Präsenz auf den sozialen Medien, einfügen, weil es noch mal ein sachliches Bild von China gibt, wie es sich selber sieht:
“In Zeiten des turbulenten Übergangs von einer alten zur neuen Ordnung muss China strategisches Durchhaltevermögen beibehalten; vermeiden, sich in den Sumpf geopolitischer Konflikte zu verwickeln; muss die Macht im Spiel der Großmächte ausgleichen und nach strategischer Initiative und Opportunität streben.”
Was kann China tun?
So einiges, ist die kurze Antwort. Der Markt wartet in einer Situation wie dieser auf klare Signale von der Zentralregierung. Glücklicherweise ist dies nun auch am Mittwoch geschehen. Die Märkte reagierten mit einem Feuerwerk an Kurssprüngen. Was war der genaue Anlass für diese Euphorie?
Am Mittwochmorgen berief Chinas Wirtschaftszar, Vizepremier Liu He, ein Treffen des obersten finanzpolitischen Gremiums des Landes ein: der Ausschuss für Finanzstabilität und Entwicklung 金融稳定发展委员会 (jīnróng wěndìng fāzhǎn wěiyuánhuì). Ganz oben auf der Tagesordnung stand die Stabilisierung der Kapitalmärkte. Liu versuchte alles, um Investoren mit einer Reihe von Versprechungen zu beruhigen.
- Zuerst kam die wichtige Klarstellung, dass die Regierung alle Unternehmen unterstützt, die im Ausland an die Börse gehen möchten.
- An die CSRC gerichtet, verlangte er, dass gemeinsam mit den US-Aufsichtsbehörden ein detaillierte Plan formuliert werden soll, um die oben angesprochenen Probleme im Zusammenhang mit den US-Prüfungsanforderungen der PCAOB für die in den USA notierten chinesischen Unternehmen zu lösen.
- Als nächstes forderte er die Implementierung von „standardisierten, transparenten und vorhersehbaren“ Regulierungen für die Plattformunternehmen.
- Musik in den Ohren von Alibaba, Tencent und Meituan war die klare Aufforderung, das regulatorische Durchgreifen bei den großen Internetplattformen so schnell wie möglich abzuschließen.
- Hinsichtlich der Stabilität des Finanzmarktes von Hongkong sollten die Regulierungsbehörden des Festlandes und Hongkongs die Kommunikation und Zusammenarbeit verstärken. In den letzten Punkt will ich nicht etwas hineinlesen, aber mehrere Kommentatoren betonten, dass die Nachricht von der Ablehnung des Hongkong IPOs für DiDi auf Regierungsseite nicht überall mit Freude aufgenommen wurde.
- Nicht weniger wichtig ist auch die Ansage von Liu, dass die Regulierer fortan bei der Umsetzung von Richtlinien zuerst die Finanzaufsichtsbehörden konsultieren müssen, um so mögliche Rückwirkungen auf die Kapitalmärkte in Zukunft zu vermeiden. Kritisch anmerken muss man hier wohl, dass die Zentralregierung dringend einer Koordinierungsstelle zu Zwecken der Marktkommunikation bedürfe, um die teilweise erratischen und intransparenten Handlungsstränge der verschiedenen Marktregulierer im letzten Jahr zu vermeiden.
Innerhalb weniger Stunden Zeit wurden diese Grundsätze von anderen Regierungsorganisationen aufgegriffen und für ihre Bereiche noch detaillierter weiterverarbeitet. Sowohl die Zentralbank Chinas, die People’s Bank of China PBOC, als auch der Banken- und Versicherungsregulierer CBIRC und die Wertpapieraufsichtsbehörde CSRC meldeten sich in der Presse mit eigenen Kommuniques zur Implementierung dieser Richtlinien zu Wort. Die Titelseiten der drei führenden Wertpapier Tageszeitungen kannten heute nur dieses eine Thema:
Der Hang Seng Tech Index stieg am Mittwoch Nachmittag um 20 Prozent und verzeichnete damit seinen besten Tag seit seiner Einführung im Juli 2020.
Was wir jetzt brauchen, sind konkrete Umsetzungen dieser Richtlinien, um den Investoren noch mehr Vertrauen zu geben, zum Beispiel: Die Genehmigung von IPOs für DiDi und die Ant Group; eine neue Welle an Börsengängen von vielversprechenden chinesischen Startups an der Nasdaq und der NYSE; der Abschluss einer grenzüberschreitenden Vereinbarung zwischen der SEC und der CSRC zur Kontrolle der chinesischen Audit Arbeitspapiere bei den in China ansässigen Wirtschaftsprüfern; eine klare Anerkennung der VIE Struktur oder gleich viel besser eine neue Gesetzgebung, die einen solchen Umgehungstatbestand gleich ganz hinfällig werden lässt. Genauso wichtig wäre auch, dass die anderen Regulierer wie die National Development and Reform Commission (NDRC), die State Administration for Market Regulation (SAMR) und auch das Ministry of Industry and Information Technology (MIIT) sich alsbald zu Wort melden und Umsetzungspläne vorlegen. Bereits am Donnerstag kam der Beschluss, den Pilotversuch einer Immobiliensteuer vorerst wieder auf Eis zu legen.
Ja, die Wunschliste ist lang. Aber wenn China jetzt nach der Ankündigung vom Mittwoch es nicht bei Worten belässt und tatsächlich mit der Arbeit beginnt, kann auch das Vertrauen der Anleger zurückgewonnen werden. Dann darf man wieder hoffen, dass die These von JPMorgan, China sei in absehbarer Zeit nicht mehr investierbar, doch nicht Wirklichkeit wird. Nicht alles liegt in Chinas Händen. Der Krieg in der Ukraine ist noch nicht beendet und stellt weiterhin einen unberechenbaren Faktor dar. Aber dennoch: Vielleicht ist dies der goldene Zeitpunkt für den Einstieg in chinesische Aktien.