Auch in der Demographie kommt es meist anders, als von der Mehrheit erwartet. Der anhaltende Babyschwund führt zu einem raschen Rückgang verfügbarer Arbeitskräfte und steigender Überalterung. Dies hat weitreichende Folgen nicht nur für die Staatshaushalte und die Geopolitik, sondern auch für ganze Wirtschaftssektoren und entsprechende Aktien. Nach jahrzehntelangen Warnungen vor einer Übervölkerung der Erde haben die meisten Leute ein völlig falsches Bild von der demographischen Entwicklung unseres Planeten im Kopf. Testen Sie sich selbst oder fragen Sie Freunde nach der aktuellen Zahl der Kinder je Frau in Ländern wie Brasilien, Iran, Bangladesch oder Indien. Die korrekten Antworten lauten: Brasilien 1.6, Iran 1.7, Bangladesch 1.9 und Indien 2.0. In allen diesen Ländern wird die Bevölkerungszahl längerfristig zwangsläufig schrumpfen. Sie wächst aktuell nur noch, weil die Lebenserwartung der schon Geborenen steigt. Eine Fertilitätsrate von 2.1 oder etwas mehr als zwei Kindern pro Frau wäre nötig, um langfristig die Bevölkerung stabil zu halten. In Westeuropa ist die Fertilitätsrate auf durchschnittlich 1.4 gesunken. Das bedeutet, ohne Zuwanderung ist jede Generation rund einen Drittel kleiner als die vorangehende. Die globale Kinderzahl je Frau ist auch schon auf 2.3 gefallen, mit rasch abnehmender Tendenz. Die Zahl der Neugeborenen auf dem Planeten ist heute nicht höher als 1982, als die Weltbevölkerung bei nur 4.6 Milliarden statt den heutigen 8 Milliarden lag. Windeln und Kinderspielzeug sind kein Wachstumsmarkt.
Neben Europa sind auch bevölkerungsreiche asiatische Länder wie China, Thailand oder Japan längst am Schrumpfen (siehe Grafik unten). Am schnellsten werden voraussichtlich die Südkoreaner aussterben:
Die aktuelle Fertilitätsrate beträgt auf der ostasiatischen Halbinsel nur noch 0.7: Die neugeborene Generation ist zwei Drittel kleiner als die ihrer Eltern!
Die Grafik zeigt die durchschnittliche Zahl Kinder je Frau (Fertilitätsrate). Nur in den blauen Regionen ist diese noch über dem kritischen Wert von 2.1, welcher die Bevölkerung langfristig wachsen lässt. (Quelle: McKinsey Global Institute)
Auf Grund der teils dramatischen Geburtenrückgänge der letzten Jahre, besonders in China und Ostasien, steht schon jetzt praktisch fest, dass die Weltbevölkerung die ehemals projizierte Schwelle von 10 Milliarden Menschen nicht überschreiten wird – oder wenn, dann höchstens für kurze Zeit mit einem nochmals starken Anstieg der Lebenserwartung. Die Zahl der Geburten je Frau liegt überall weit unter den Werten, welche diesem mittleren Szenario der UNO zu Grunde liegen. Im Gegenteil könnte die Zahl der Menschen auf dem Planeten im Jahr 2100 sogar bei nur 7 Milliarden zu liegen kommen – unter der heutigen Bevölkerungszahl.
Die Analysten des McKinsey Global Institute haben in einer interessanten Studie versucht zu analysieren, was die Folgen dieser demographischen Entwicklung sein könnten. Wir lesen daraus für die nächsten Jahrzehnte teils dramatische Veränderungen in den folgenden Themenbereichen heraus:
1. Geopolitische Verschiebungen, 2. Belastungen für die Staatsfinanzen und 3. Verschiebung der Sektorengewichte.
1. Geopolitische Verschiebungen
Die epochalen Veränderungen durch den Babyschwund werden in den nächsten Jahrzehnten die Welt verändern. Die grössten Verlierer in Sachen Bevölkerung, und damit
auch im Bezug auf Wirtschaftskraft und Einfluss, werden neben Europa die ostasiatischen Länder mit sehr tiefen Fertilitätsraten sein, namentlich China, Japan und Südkorea. Die grossen relativen Gewinner befinden sich mehrheitlich auf der Südhalbkugel, sofern es ihnen gelingt, den Bevölkerungszuwachs produktiv zu nutzen. Auf Basis der aktuellen Zahlen wird gemäss McKinsey die Einwohnerzahl Chinas bis ins Jahr 2100 um 55% auf 633 Millionen fallen (siehe Grafik nächste Seite). Das Reich der Mitte bliebe damit auch in 75 Jahren eines der grössten Länder der Welt, der Verlust an relativer Bedeutung wäre aber enorm. In Japan sowie süd- und osteuropäischen Ländern zeichnet sich eine grosse Entvölkerung mit Rückgängen von 30-50% ab. Das Ferienhaus in der italienischen Provinz könnte immer billiger werden. Selbst Länder wie die Türkei und Brasilien dürften bis zur Jahrhundertwende gut einen Viertel ihrer Einwohner verlieren. Indien dagegen wird mit geschätzten 1.5 Milliarden Einwohnern die klare Nummer eins der Welt sein, auch wenn die Einwohnerzahl von den heutigen 1.4 Milliarden netto kaum noch wachsen wird.
Die Grafik zeigt die vermutete Bevölkerungsentwicklung verschiedener Länder und Regionen bis ins Jahr 2100 auf Basis der aktuellen Fertilitäts- und Zuwanderungsraten.
(Quelle: McKinsey Global Institute)
Auf Grund hoher momentaner Zuwanderungsraten relativ gut stehen Frankreich, das Vereinigte Königreich und die USA da. Ihr relatives Gewicht könnte sogar noch zunehmen, sofern die Zuwanderung anhält und die Integration der Neuankömmlinge gelingt. In der Tendenz aber werden die westlichen Industrieländer und Ostasien an Gewicht einbüssen. Nicht nur geopolitisch, sondern auch im Bezug auf die Konsumentenmärkte
der Zukunft. Gemäss den Berechnungen von McKinsey machten Nordamerika, Westeuropa und das entwickelte Ostasien im Jahr 1997 satte 61 Prozent des globalen Konsums aus. Heute sind es noch 43 Prozent und im Jahr 2100 dürften es nur noch rund 30 Prozent sein. Afrika, Südostasien und Lateinamerika werden relativ gesehen als Absatzmärkte immer bedeutender. Die effektive Entwicklung der Wirtschaftskraft und damit der Kaufkraft wird jedoch nicht nur von der Bevölkerung, sondern auch vom Verlauf der Produktivität je Arbeiter abhängen. Die schlechte Nachricht für den Westen: Das Produktivitätswachstum liegt seit 1997 in den meisten europäischen Industrieländern bei weniger als einem Prozent im Jahr. Die USA und Australien sind mit jeweils 1.5 Prozent die löblichen Ausnahmen. Schwellenländer und allen voran China konnten dagegen wegen des Aufholeffekts in der Industrialisierung deutlich höhere Produktivitätsraten verzeichnen. Die Märkte der Zukunft in Sachen Konsum liegen nicht mehr in Europa oder gar China, sondern in Afrika, Indien und Teilen Asiens. Unternehmen, die in diesen teils immer noch wenig beachteten Regionen über eine gute Marktstellung verfügen, verdienen eine Prämie. Aktien in unseren Fonds mit sehr starkem Geschäft in den demographischen Wachstumsmärkten sind zum Beispiel AB InBev, Unilever, Indofood, Nu Holdings, Standard Bank oder Femsa.
2. Belastungen für die Staatsfinanzen
Durch die schwindende Zahl junger Arbeitskräfte und die Überalterung wird die Unterstützungsrate (Support Ratio) dramatisch fallen: Kommen heute in Westeuropa rund drei Berufstätige auf einen Rentner und in China viereinhalb, werden es im Jahr 2050 nur noch je zwei Berufstätige sein, welche die Pensionierten finanzieren und umsorgen müssen. In China wird die Rate bis im Jahr 2100 sogar auf einen Arbeiter je Rentner
fallen – wie auch immer das funktionieren soll. Auf jeden Fall wird die Belastung für die Staatsfinanzen schon in den nächsten 15 Jahren dramatisch zunehmen: nicht nur durch die Rentensysteme im Umlageverfahren, sondern auch durch die höheren Gesundheits und Pflegekosten für die älteren Mitbürger. Ein möglicher Ausweg ist die verstärkte Zuwanderung von jungen Arbeitskräften aus Entwicklungsländern – nicht nur die übliche Rochade, dass deutsche Ärzte in die Schweiz arbeiten gehen, dafür die Griechen nach Deutschland kommen und so weiter. Politisch ist dies natürlich äusserst schwierig, da gerade die Integration von jungen Männern aus entfernten Kulturkreisen ein Problem darstellt. Auch der Wohnraum für die Zuwanderung bleibt knapp, weil alte Leute aus Kostengründen gerne möglichst lange und immer mehr auch alleine in ihren Wohnungen und Häusern verbleiben.
Ein zweiter Ausweg wäre eine erhöhte Robotisierung von Pflege und Gesundheitswesen sowie der Industrie. Eine dritte mögliche Lösung wäre die beschleunigte Deindustrialisierung Europas und verstärkte Importe von Gütern aus Schwellenländern, so dass mehr junge Leute für die Altenpflege frei werden. Doch womit sollen die Importe finanziert werden? Die Wertschöpfung in Sozialberufen ist tief. Ein Verzehr des Vermögens der
Industrieländer erscheint damit unausweichlich.
Die steigenden Belastungen für die Staatsfinanzen sind jedenfalls enorm. In Spanien zum Beispiel kamen gemäss McKinsey die Senioren für nur 12 Prozent der Steuereinnahmen, aber 40 Prozent der Staatsausgaben auf. Das Defizit je Rentner belief sich in dem Land im Schnitt auf 33’000 Dollar, im Vereinigten Königreich auf 24’000 Dollar und in den USA auf 21’000 (siehe Grafik unten).
Die Balken zeigen die staatlichen Defizite bzw. Überschüsse von Einnahmen und Ausgaben je Einwohner in US-Dollar sortiert nach Alter. (Quelle: McKinsey Global Institute)
Mit diesen Zahlen von 2023 und unter Einbezug der Demographie errechnen die Analysten von McKinsey bis 2050 eine Vervierfachung des Fiskaldefizits in Spanien und eine Steigerung um das Doppelte auf den britischen Inseln. Die USA stehen demographisch besser da, hier wird nur ein rund 50 Prozent höheres Defizit erwartet. Eine Finanzierung dieser Ausgabenlast allein über höhere Steuern und Lohnabzüge erscheint ausgeschlossen. Sie wäre auch kontraproduktiv, da dann die Arbeitsanreize für jüngere Leute zunehmend fehlen – sie werden auswandern oder die Arbeit verweigern und das Sozialsystem belasten. Eine Kürzung der Renten und Altersleistungen wird politisch schwierig. Zudem wächst überall der Stimmenanteil der ohnehin gut organisierten Senioren weiter.
Also bleibt nur der Ausweg über noch mehr Schulden und die Notenpresse. Höhere Inflationsraten erscheinen unausweichlich. Damit werden die Renteneinkommen erodiert, während die jungen Arbeitskräfte tendenziell den Teuerungsausgleich auf ihre Löhne erhalten.
Der in der COVID-Panik 2020 begonnene Trend zu höheren Fiskaldefiziten wird in den Industrieländern in den nächsten 15 Jahren durch die Demographie rasant beschleunigt. Langlaufende Staatsanleihen müssen als hochriskantes Investment angesehen werden, da die aktuell tiefen Zinssätze für keine zukünftigen Inflationsrisiken entschädigen. Eventuell werden die Zinsen durch die Interventionen der Notenbanken gedeckelt. Währungsabwertungen und höhere Inflationsraten drohen. Das mit Abstand beste Investment in Hochinflationsphasen sind Rohstoff-Futures und Gold (siehe Quantex Werte März 2022), die mit 25 Prozent einen wesentlichen Teil des Quantex Multi Asset Fund bilden.
3. Verschiebung der Sektorengewichte
In den Industrieländern wird der Anteil der Einwohner über 65 Jahre von heute 17 Prozent auf 29 Prozent im Jahr 2050 steigen. In den nächsten 15 Jahren verdoppelt sich also fast der Anteil der älteren Konsumenten – und die Zahl der jungen Verbraucher schrumpft relativ wie auch absolut. Mit Blick auf den zukünftigen Konsum ist deshalb eine starke Verschiebung weg von der Bildung und hin zu mehr Ausgaben für Gesundheit
zu erwarten (siehe Grafik unten)
Die Schätzungen zeigen die erwartete relative Veränderung des Pro-Kopf-Konsums bis
2050 allein auf Grund der alternden Gesellschaft. (Quelle: McKinsey Global Institute)
Neben dem erwarteten Rückgang der Ausgaben für Bildung, die vielerorts primär durch den Staat getätigt werden, ist durch die Überalterung auch weniger Konsum von Restaurant und Hotels, Tabak, Alkohol und Kleidern zu erwarten. Der Gesundheitssektor bleibt auf Grund des wachsenden Wohlstands in den Schwellenländern und der Überalterung in den Industrieländern definitiv ein Wachstumsmarkt. Der politische Druck zum Sparen dürfte auf Grund der klammen Staatskassen aber weiter zunehmen. Insofern ist es wichtig zu verstehen, dass der weitaus grösste Kostenblock die Ausgaben für Spitäler, Ärzte und Pflegepersonal darstellen. Hersteller von Pharmazeutika und medizinischen Geräten stellen oft die billigere Alternative dar.
Fazit: Der absehbare Rückgang der Weltbevölkerung hat sicherlich positive Auswirkungen für die Umwelt. Die geopolitischen Gewichte werden sich verschieben, tendenziell mehr nach Süden und zugleich weg von China und Europa. Einzelne Länder mögen mit ihrem Schicksal der Entvölkerung hadern. Bis jetzt gibt es jedoch kein Land, welches die Geburtenrate wieder auf das Wachstumsniveau von 2.1 Kindern je Frau gebracht hat,
nachdem die Fertilität erst einmal unter 1.9 gefallen war. An eifrigen Versuchen mit starken finanziellen Anreizen fehlt es nicht, zum Beispiel in Ungarn, Polen oder China. Das Grundproblem der tieferen Geburtenzahl ist übrigens nicht eine geringere Zahl Kinder je Elternpaar, sondern dass ein immer grösserer Teil der Gesellschaft überhaupt keine Kinder hat. Rund 20-30 Prozent der Frauen bleiben in fortgeschritteneren Ländern kinderlos. Auf die längere Sicht könnte die Evolution stabilisierend wirken: Menschen mit einem geringeren Interesse an Kindern und Elternschaft werden tendenziell aussterben,
währen die anderen sich vermehren und so die Gesellschaften in der Zukunft wieder eher mehr Kinder haben werden. Die meisten demographischen Auswirkungen übersteigen jedoch den Anlagehorizont
unserer Investments. Die unmittelbarste Folge der Überalterung ist der steigende Druck auf die Staatshaushalte, der in den nächsten Jahren mit der Pensionierung der letzten Babyboomer stark zunehmen wird. (pfr)
Disclaimer
Dieser Beitrag stellt eine Meinungsäußerung und keine Anlageberatung dar.
Dieser Beitrag wurde zuerst als monatlicher Anlegerbrief (Ausgabe 116, 07/25) der Firma Quantex (https://www.quantex.ch/) veröffentlicht. Der Anlegerbrief kann auf der Homepage als PDF gedownloadet werden, eine Anmeldung dazu ist ebenfalls dort möglich.
Informationen über die „Quantex-Fonds“ finden Sie unter folgendem Link: https://www.quantex.ch/anlagefonds/.
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