Ein unterhaltsamer Rückblick mit zwei langjährigen Branchenkennern
Interview mit Björn Drescher und Dirk Fischer – Björn Drescher ist Vorstand der Drescher & CIE AG mit Sitz in Köln. Das Consulting Unternehmen beobachtet, analysiert, bewertet und kommentiert die Börsenentwicklungen und die Welt der Fonds. Dirk Fischer ist Geschäftsführer der Patriarch Multi-Manager GmbH mit Sitz in Frankfurt am Main. Seit 2007 führt er den unabhängigen Produktentwickler, welcher für seine Konzepte stets die favorisierten Manager am Markt mit dem jeweiligen Asset Management seiner verschiedenen Produktideen beauftragt.
917 Family: Herr Drescher, gemeinsam mit Ihrem Mitgesellschafter Dirk Arning, feierten Sie kürzlich Ihr 25jähriges Firmenbestehen. Für ein Consulting-Unternehmen in einer bewegten Branche und Zeit eine enorme Leistung. Glückwunsch dazu. Wie hat sich der Finanzmarkt über die letzten 25 Jahre aus Ihrer Sicht verändert?
Drescher: „Kürzlich..“, Sie sind gut, im Juni 2023 waren es jetzt ja sogar schon 26 Jahre. Also noch ein Jahr Erfahrung mehr. Aber um auf Ihre Frage zu antworten, der Finanzmarkt ist in dieser Zeit vielschichtiger, komplexer und volatiler, um nicht zu sagen, schnelllebiger geworden. Das hat nicht nur, aber auch etwas mit der Professionalisierung vieler Marktteilnehmer zu tun, der Digitalisierung, einer massiven Ausweitung der Produktvielfalt, sowie der Standardisierung von Prozessen und Strategien, was in der Folge auch konzentriertere Zahlungsströme nach sich zieht. Ganz zu schweigen von der rasanten Informationsgeschwindigkeit des Internet, dank derer die Märkte Nachrichten inzwischen blitzschnell einpreisen können. Zudem haben sich die Notenbanken entschlossen, neben ihren traditionellen Aufgaben auch als aktiver Player am Tisch Platz zu nehmen und zu intervenieren und Themen wie „ESG“ und „Impact“ haben die Geldanlage um zusätzliche Perspektiven bereichert. Alles in allem, wollen wir uns als Consultant nicht beklagen. Da ist immer genug Musik, Spannung und Arbeit in der Branche und man lernt jeden Tag dazu. Dass diese Entwicklungen unter den Marktakteuren neben den Gewinnern aber auch eine ganze Menge Verlierer kennen, liegt in der Natur der Dinge.
917 Family: Herr Fischer, die Firma Patriarch feiert in 3 Monaten ebenfalls Ihr 20jähriges Bestehen. Auch Ihnen Glückwunsch zu dieser Leistung. Sie und Ihr Team standen jedoch immer auf der anderen Seite im Vergleich zu Herrn Drescher. Also nicht im Segment der Informationsunterstützung, sondern auf der Seite der Produktkreation und des B2B-Vertriebes. Wie ist Ihre Wahrnehmung zu den Veränderungen der Fondsbranche in den letzten zwei Jahrzehnten?
Fischer: Der Retailvertrieb hat über diese zwei Jahrzehnte eine Metamorphose vom reinen Produktverkauf und Storytelling hin zu einem viel strategischeren und analytischer Ansatz vollzogen. Nicht ein Einzelproduktmehrwert, sondern eine robuste Asset Allocation steht heute im Vordergrund. Auch wenn diese Entwicklung die Branche stark professionalisiert hat, hat der Vertrieb darüber ein wenig an Emotion und Kreativität verloren. Auch die Schwerpunkte haben sich verschoben. Themen, wie Kostensensität, Transparenz oder Nachhaltigkeit eines Produktes waren lange Zeit keine Prioritäten. Heute sind das, neben der Performanceerwartung und Risikoneigung einer Finanzlösung die wichtigsten Eigenschaften überhaupt geworden. Über die Regulatorik, sowie Dokumentations- und Haftungsanforderungen wurde aus einem relativen „Wild-West-Markt“ ohne hohe Ausbildungsanforderungen damals, heute ein absolutes Spezialistensegment. Und abschließend sollte man unbedingt noch ergänzen, dass sich mit dem Selbstentscheiderkunden (execution-only-Investor) ein völlig neuer, stark digitaler, Vertriebsweg etabliert hat, den man als Vertriebsgesellschaft als neuen Absatzkanal natürlich ebenso im Blick behalten muss.
917 Family: Da die Fondsbranche nie stillsteht, scheint der neue Heilsbringer das Thema „ELTIFS“ zu sein. Ein Produktsegment, auf welches Sie in Ihrem Veranstaltungsformaten schon seit Jahren immer wieder hingewiesen haben, Herr Drescher. Könnten Sie unseren Lesern kurz erklären, worum es sich hierbei handelt? Und wie Sie die Marktchancen dazu einschätzen?
Drescher: European Long Term Investment Funds (ELTIFs) stellen wenn man so will, eine relativ neuartige Form der Verpackung von traditionell eher illiquiden Assetklassen dar, und sollen dabei behilflich sein, die so genannten Privat Assets, die bisher mehr oder weniger professionellen Großanlegern vorbehalten waren, zu demokratisieren und breiteren Anlegerschichten zugänglich zu machen. Es geht unter anderem um Infrastruktur, um Immobilien, aber auch um den außerbörslichen Handel mit Unternehmensbeteiligungen, Anleihen und Krediten.
Das Marktpotenzial könnte nach der Überwindung anfänglicher regulatorischer und administrativer Vertriebshindernisse enorm sein. Die Lagerstellen bemühen sich handlungsfähig zu werden und die Produktanbieter stehen reihenweise in den Startblöcken. Der lange gehegte Wunsch, illiquide Assets, mit niedrigen Korrelationen zum aktiven Börsengeschehen, endlich in Anlegerdepots verwahrfähig zu machen und im standardisierten Massengeschäft zum Einsatz zu bringen, sollte die ELTIFS im zweiten Anlauf, zu einer europäischen Erfolgsgeschichte werden lassen. Die EU-Kommission sähe eine derartige Entwicklung alleine schon von daher gerne, als den ELTIFs eine tragende Rolle bei der Finanzierung des „Green New Deal“ zukommen soll.
917 Family: Das letzte große Thema am Markt war wohl das Thema ESG bzw. Nachhaltigkeit. Gefühlt sind wir hier von völliger Euphorie nun bei ziemlichem Desinteresse gelandet, Herr Fischer. Täuscht dieser Eindruck? Oder wie schätzen Sie die Situation ein, Herr Fischer?
Fischer: Ich denke man muss hier unterscheiden. Die Notwendigkeit des Themas steht ja außer Frage. Und, dass auch wir von Seiten der Finanzbranche hier unseren Beitrag leisten wollen und müssen, ist ebenfalls sehr lobenswert. Die Umsetzung auf der EU-Ebene an sich, mit zwei regulativen Anforderungen (Taxonomie und Transparenzverordnung), die absolut nicht miteinander harmonieren, ist aber leider ein absoluter „Spaß-Killer“ und ein wahres Bürokratiemonster. Das hat vielen Marktteilnehmern leider komplett die Freude am Thema genommen. Wir Fondsgesellschaften müssen uns aber selbstkritisch auch an die eigene Nase fassen und haben das Thema marketingtechnisch auch einfach überreizt, sodass es irgendwann keiner mehr hören kann. Und last but not least ist auf der Anlegerseite auch noch viel Aufklärungsarbeit zu leisten. Während das Thema Nachhaltigkeit einigen Investoren elementar wichtig ist, wusste ein Großteil der Investoren bisher gar nicht, dass es den Einsatz des eigenen Kapitales in eine solche Richtung aktiv steuern kann. Das ist seit der vorgeschriebenen Nachhaltigkeitsabfrage nun aber vorbei. Also keine Sorge – der gesetzliche Druck auf dem Sachverhalt ist aus bekannten Gründen so enorm, das Thema ESG-Investment geht nicht mehr weg, sondern erlebt aktuell lediglich eine kurze Atempause.
917 Family: Natürlich müssen wir jemandem, der seit Jahren einen Nachhaltigkeitskongress organisiert wohl kaum nach seiner mit Sicherheit positiven Einstellung zu dem Thema fragen, Herr Drescher. Oder sehen auch Sie Kritikpunkte zur derzeitigen ESG-Umsetzung?
Drescher: Ich bin der Sache verbunden und halte eine Transformation der Wirtschaft zu größerer Nachhaltigkeit zum Zweck des Klimaschutzes und des gesellschaftlichen Zusammenhalts für zwingend notwendig. Die Wege dahin sind mit Blick auf die Komplexität der Zusammenhänge verständlicherweise aber nicht immer klar erkennbar, lang und beschwerlich. Da geht es vielen nicht schnell und nicht radikal genug. Man wird sehen, was wirklich praktikabel ist und Fortschritt liefert. So oder so sind wir alle in einer Schicksalsgemeinschaft, die zum Erfolg verurteilt ist.
Kritikpunkt habe ich viele. Um nur drei zu nennen: eine technisch leider sehr verkopfte Regulierung, eine in diesem Ausmaß selten gesehene Marketingpenetration und Übersensibilisierung der Anleger und Berater durch die Produktanbieter und eine eher verwirrende als erleuchtende, um nicht zu sagen, educative Berichterstattung in der breiten Medienlandschaft.
917 Family: Ein weiteres Thema, welches zuletzt die Märkte beschäftigt hat, ist eindeutig der Sachbereich der „Künstlichen Intelligenz“. Sie sind hier sogar mit einem Fondsmandat vertreten, Herr Fischer. Ist das viel Rauch um Nichts, oder gibt es tatsächlich kein Entkommen für uns alle zu dieser Materie?
Fischer: Um in ihrem Wortlaut zu bleiben – wir sind ja bereits vereinnahmt. Denn in so vielen Bereichen, wo es um Mustererkennung geht, nutzen wir alle ja KI bereits täglich. Sei es Spracherkennung, Gesichtserkennung, Übersetzungsprogramme, Verkehrszeichenerkennung beim autonomen Fahren, Tumorerkennung in der Medizin und vieles mehr. Daher wundert mich der aktuelle Hipe um das Thema offen gesagt ein wenig, denn dafür brauchte es nicht erst Chat GPT. Die ständige Weiterentwicklung und die daraus entstehenden Zukunftsinnovationen, ist ja auch lediglich noch eine Frage von höheren Speicherkapazitäten. Aufgrund seiner breiten Streuung an Ideen ist der von Ihnen angesprochene AI Leaders Fund sicherlich eine gute Investitionsidee. Denn es geht längst nicht mehr um die Frage, OB man in KI investiert, sondern lediglich noch darum WIE man in KI investiert.
917 Family: Herr Drescher, unser Magazin ist dafür bekannt, dass es sich extrem stark mit den Herausforderungen unserer Leserschaft, dem Vermittlermarkt auseinandersetzt. Häufig finden sich hierzu kritische Betrachtungen rund um die Aspekte Regulatorik, Vergütungssysteme, Transparenz, Kostenfairness, Nachfolgeplanung und vielem mehr. Wie erlebt jemand wie Sie, der einen ähnlichen Kundenstamm ja ebenso intensiv, aber immer auch kritisch, begleitet die dortigen Herausforderungen? Und wie kann Ihr Haus dabei helfen?
Drescher: Da ist sicher Licht und Schatten. Die größten Herausforderungen sehe ich in der demographischen Überalterung der Vermittlerschaft, sowie der Professionalisierung und Digitalisierung des Geschäfts. Für den sprichwörtlichen „Kleinkrauter“ wird die Luft immer dünner. Für vorausschauende und dynamisch agierende Akteure ist da indes auch viel Entwicklungspotenzial. Im Zuge beispielsweise von Webinaren zur „Nachfolgeplanung“, „Fondsvermögensverwaltung“ oder auch „Haftungsdächern“ versuchen wir zu sensibilisieren und zu helfen, wo wir können.
917 Family: Als „Finanzproduktkreateur“ erstellen Sie mit Patriarch schon seit 20 Jahren Finanzprodukte für den B2B-Markt, überwiegend im Retail-Segment, Herr Fischer. Wie haben sich die Herausforderungen an die Produktkriterien dabei verändert?
Fischer: Wie zu Beginn des Interviews bereits erwähnt haben sich die Anforderungskriterien an Finanzkonzepte verschoben. Über den großen Siegeszug der ETFs hat das Thema Kosten weiter absolute Priorität. Ob sinnvoll oder nicht, mal dahingestellt. Ein Fonds ohne institutionelle Shareclass oder Clean Share Class wird Probleme kriegen. Auch ein Konzept ohne Nachhaltigkeitskriterien (Artikel 6 TVO) wird es zukünftig schwer haben, da der Standard höher liegen wird. Für einen Produktbauer, wie uns, bedeutet das deutlich höhere Produktanforderungen bei sinkenden Margen in einem Verdrängungswettbewerb. Wer hier als Anbieter nicht kreativ, flexibel und innovativ aufgestellt ist und schnell auf Veränderungen reagieren kann, wird am Ende nicht zu den Gewinnern gehören. Die Patriarch gleicht von ihrer Aufstellung her ja eher einem kleinen Schnellboot, sodass wir uns gut gerüstet fühlen.
917 Family: Wenn wir schon zwei erfolgreiche Vertreter der Fondsszene aus zwei völlig unterschiedlichen Bereichen hier haben, kommen Sie natürlich nicht ohne die Frage davon, was bei allen Erfolgen Ihr vielleicht größter Misserfolg bzw. Fehleinschätzung in diesem langen Zeitraum war? Denn wir wissen ja alle, ohne Fehler lernt man nicht und entwickelt sich nicht weiter. Also?
Fischer: Über die letzten 10 Jahre wurde uns immer wieder von verschiedenen Seiten als Idee zugerufen uns doch auf die Auflage von individuellen Fondsvermögensverwaltungen für Einzelvermittler zu spezialisieren. Ich habe das immer abgelehnt, da ich mir absolut nicht vorstellen konnte, warum eine ganze Branche die Fehler des Dachfondsbooms rund um die Abgeltungsteuer mit einer neuen Produkthülle wiederholen sollte? Dazu in einem Segment, welches oft wenig wirtschaftlich wenig lukrativ und regulatorisch grenzwertig ist. Angesprochen ist hier das Thema Interessenkonflikt zwischen Beratung der Strategie und Vermittlung an den Kunden durch dieselbe Person. Dazu gibt es so viele hervorragende bestehende allgemeine Fondsvermögensverwaltungslösungen, dass ich einfach keinen Sinn darin gesehen habe. Ich muss aber heute eingestehen, dass ich nicht gesehen habe, dass die Regulatorik die Vermittler so massiv in diese Richtung drängen wird, sonst hätten wir uns diesem Thema vermutlich deutlich mehr gewidmet. Keine Katastrophe für die Patriarch, da unsere breiten Fondsvermögensverwaltungsprodukte ja auch genug Freunde finden, aber dennoch unbestritten eine Entwicklung, die ich in ihrer Dramatik unterschätzt habe.
Drescher: Der Erfahrungsschatz, zeichnet sich ja immer auch dadurch aus, dass man auch lernt, was nicht geht und warum es nicht geht. Vor diesem Hintergrund erwachsen großen Fehlern nicht selten große Chancen. Beispielhaft dafür steht für mich unsere fondsplattform.de , die als digitale Messe gestartet, ein Rohrkrepierer war, als weiterentwickeltes Multi-Media-Online Format aber ein voller Erfolg wurde und inzwischen eine feste Instanz in der Informationslandschaft ist.
917 Family: Abschließend, die Herren, ein provokativer Blick nach vorne. Wo steht die Fondsindustrie aus Ihrer Sicht in gut 10 Jahren? Einmal gute Gesundheit unterstellt, würde es Sie beide und Ihre Häuser dann noch geben? Und wenn ja, in welcher Funktion würden Sie dies erwarten?
Drescher: 10 Jahre sind in diesem Geschäft, wie eingangs erwähnt und erklärt eine sehr lange Zeit in der viel passieren kann. Aber sei es drum. Die Fondsindustrie verwaltet in 10 Jahren wesentlich mehr Assets under Management als heute. Das ETF Geschäft und die digitale Anlageberatung werden weiter erheblich an Bedeutung gewonnen und die Margen im Sinne der Verbraucher aber zum Leidwesen der Anbieter gelitten haben. Drescher & Cie wird es auch in zehn Jahren noch geben, aber ich selbst dann hoffentlich weniger operative Aufgaben übernehmen müssen.
Fischer: Die Patriarch wird sich bis dahin, wie in der Vergangenheit auch, mindestens ein- bis zweimal neu an den Rahmenbedingungen ausgerichtet haben und weiterhin gut aufgestellt sein. Das war immer unsere Stärke und da bin ich ganz sicher. Vermutlich viel digitaler und mit dann stärkerer Einbindung des Selbstentscheiderklientenkanals. Persönlich hoffe ich doch sehr, dass in diesen 10 Jahren viele jüngere und kompetente Marktplayer in die Bresche gesprungen sind, die neue Konzepte und ein höheres Verständnis für eine dann noch modernere Welt mitbringen, sodass die Branche nicht mehr auf die Weisheiten eines dann 65jährigen angewiesen ist. Offen gesagt, wäre es ja eine wahre Horrorvorstellung und ein Armutszeugnis für die Branche, wenn es anders kommen würde.917 Family: Das war sehr informativ, aber auch sehr unterhaltsam. Vielen Dank Ihnen beiden für dieses tolle Gespräch und weiterhin persönlich und mit Ihren Firmen viel Erfolg!
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