Sie alle kennen das Problem: Das Jahr 2020 neigt sich dem Ende zu und eigentlich ist nichts so gelaufen, wie es sollte. Erst kam Corona, Ausgangssperren und Kurzarbeitergeld. Und dann war auch der Sommer gefühlt noch viel zu kurz und nun haben wir schon wieder Ausgangssperren und Maskenpflicht. Und wenn es für Sie ganz blöd gelaufen ist, hatten Sie im Jahr 2020 auch noch auf die Hilfe eines Anwalts vertrauen müssen.
Vor Gericht und auf hoher See
Die römische Juristenweisheit „Vor Gericht und auf hoher See sind wir allein in Gottes Hand“ wird gern verwendet, um die scheinbare Hilflosigkeit im Umgang mit Recht und Gesetz zu beschreiben. Dementsprechend ist es vorstellbar, dass ihr Rechtsfall – der eigentlich eine „ganz sichere“ Sache sein sollte – auch noch schief ging. Und als wären Sie noch nicht genug gestraft, schickt Ihnen Ihr Anwalt nun auch noch eine Rechnung. Doch es gibt einen Ausweg:
BGH: Keine Widerrufsbelehrung, kein Anwaltshonorar
Ein Verbraucher, der einen Vertrag elektronisch abschließt, ohne über ein Widerrufsrecht belehrt worden zu sein, kann diesen widerrufen. Das hat der Bundesgerichtshof (BGH) mit Urteil vom 19.11.2020, Az. IX ZR 133/19, entschieden. Und die Beweislast, dass kein Fernabsatz vorliegt, trägt der Anwalt. Sofern Sie also nicht persönlich beim Anwalt waren, sondern die ganze Angelegenheit per Telefon oder E-Mail geklärt haben, bestehen gute Chancen, dass Sie ihren Anwalt nicht bezahlen müssen.
BGH: Wer Vertragsabschlüsse online anbietet, bietet Fernabsatz an
Der Anwaltsmarkt verändert sich – zwar so langsam, dass man es kaum sieht – aber er verändert sich. Die Spezialisierung der Rechtsanwälte schreitet immer weiter voran und es gibt immer mehr Rechtsgebiete, bei denen es auch für die Mandanten nicht mehr erforderlich ist, den Rechtsanwalt persönlich in seinem Schloss aufzusuchen. Immer mehr Mandate werden online erteilt und geführt, so zum Beispiel die Mandate im sog. Dieselskandal oder in Bezug auf den Widerruf von Darlehens- und Lebensversicherungsverträgen, die bestimmte Kanzleien massenhaft ausschließlich nur über das Internet akquiriert haben. Ironischerweise können Sie diesen Kanzleien nun wegen fehlender Widerrufsbelehrungen das Mandant nachträglich entziehen und ihr Geld zurückfordern – genau wie Sie es mit Ihrer Bank gemacht haben.
Widerrufsbelehrung muss auch bei Honorarvereinbarungen beigelegt werden
Der Fall, den der BGH nun zu entscheiden hatte betraf eine bundesweit tätige Kölner Kanzlei, die auf das Hochschul- und Prüfungsrecht spezialisiert ist. Im Internet wirbt die Kanzlei mit ihren Dienstleistungen und Erfolgen. Ein Student trat telefonisch in Kontakt mit der Kanzlei, um gegen einen Notenbescheid seiner Universität vorzugehen. Kosten: 5.000 EUR. Nach Ende des Mandats machte die Kanzlei das Honorar geltend. Der Student dagegen widerrief den Anwaltsvertrag und bekam Recht.
Urteil wird Kanzleibetrieb verändern
Das Urteil des BGH hat erhebliche praktische Auswirkungen auf die Organisation vieler Kanzleien. Gerade wenn eine Kanzlei im Internet damit wirbt, dass der Anwaltsvertrag auch auf elektronischem Wege abgeschlossen werden kann, muss die Kanzlei Verbraucherinnen und Verbraucher über ihr Widerrufsrecht in der richtigen Form (Art. 246a und b EGBGB) belehren. Dies gilt auch, wenn die Angelegenheit fristgebunden ist und vor dem Ablauf der Widerrufsfrist etwa ein Rechtsmittel eingelegt werden muss. Das stellt hohe Anforderungen an die Kanzleiorganisation und bedeutet für die Verbraucher neben der Vollmacht, der Datenschutzerklärung nun noch eine Belehrung über das Widerrufsrecht.
Dank des Urteils könnten Sie – wenn gewollt – also vielleicht sogar noch 2020 Ihren Rechtsanwalt loswerden und dem Corona-Jahr doch noch etwas Gutes abgewinnen.
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Bild von Jörg Möller auf Pixabay