Sei billig, werde smart, dann musst du nicht mehr ganz so billig sein
Den Lebensweg der Vermögensverwaltungs-Branche säumen Mythen und Legenden. Die Asset Management-Industrie ist – wie der Finanzvertrieb auch – Storytelling getrieben. Das muss per se nicht schlimm sein, denn das Börsengeschehen ist für viele Menschen ziemlich dröge, weshalb spannende Stories den Weg zum Wertpapierportfolio ebnen können. Doch es gibt Punkte, ab denen die Story zum Alptraum werden kann. Etwa wenn Anleger systematisch ihr “Pulver trocken halten” und auf günstige Einstiegschancen warten. Der wohl häufigste Mythos ist jedoch die Verheißung fabulöser Renditen. Fondsmanager, so der Mythos, seien durch das geschickte Ausspielen ihres Informationsvorsprungs in der Lage, ihre Vergleichsindizes zu übertreffen. Was im Einzelfall zutrifft, scheitert naturgemäß im Großen und Ganzen: Langfristig schaffen es – je nach Markt und Zeitperiode – nur rund ein Fünftel aller aktiven Fonds, eine adäquate Benchmark zu übertreffen.
Und so ist es kein Wunder, dass ETFs in den vergangenen Jahren einen beachtlichen Siegeszug angetreten haben. Bis zu 20 Prozent der Fondsgelder europaweit stecken in Indexfonds. ETFs profitieren von einem Nachteil vieler aktiv verwalteter Fonds: sie sind zu teuer. Die Aussicht auf Outperformance lassen sich Fondsmanager ordentlich bezahlen. Kritische Geister heben hervor, dass die Reduzierung der Kosten ein wichtiger Faktor für die Erfolgsprognose eines Fonds ist. Kaufe ein ETF und du hast keine Probleme mehr? Das ist nicht die ganze Geschichte, auch wenn Kosten natürlich wichtig sind für den Anlageerfolg. ETFs können mitunter wirklich miese Anlageergebnisse liefern. Warum?
Nun, auch ETF-Anbieter spielen das Outperformance-Spiel gerne mit. Und sie tragen den Anspruch wie eine Monstranz vor sich her, evidenzbasiert vorzugehen und nur Produkte aufzulegen, die einen Nutzen für Anleger versprechen. Der Clou: Sie berufen sich dabei auf die akademische Grundlagenforschung, die an den finanzwissenschaftlichen Instituten von Hochschulen angesiedelt ist. Damit lassen sich üppigere Gebühren verdienen als mit „langweiligen“ ETFs auf den MSCI World oder DAX40.
Finanzwissenschaftler arbeiten seit Jahrzehnten daran, den Komponenten der Marktrendite auf die Spur zu kommen. Eine bahnbrechende Entwicklung stellte das Drei-Faktor-Modell von Eugene Fama und Kenneth French aus dem Jahr 1992 dar. Hier wurde das Prinzip der alternativen Renditequellen identifiziert. Neben der allgemeinen Marktrendite wurden die sogenannten Value- und Size-Effekte benannt, die systematisch andere (lies: überlegene) Renditen lieferten als der allgemeine Markt. Das Modell wurde 1997 von Mark Carhart um den Momentum-Faktor ergänzt. Fama-French erweiterten ihr ursprüngliches Modell später um zwei weitere Faktoren. Heute überbieten sich Indexanbieter wie MSCI, S&P und viele mehr regelrecht mit der Entdeckung „neuer“ Renditequellen. Kombiniert man die verschiedenen Einzelfaktoren, kommt man locker auf hunderte tatsächlicher oder vermeintlicher Alternativen zum Standardmarktmodell.
Diese Grundlagenforschung wurde von der Asset Management Industrie begierig aufgegriffen, liefert sie doch den intellektuellen Überbau für ihre Strategien. Besonders eifrige Rezipienten des Prinzips der alternativen Renditequellen sind ETF-Anbieter. Entsprechend sind heute neben klassischen ETFs viele (teurere) Indexprodukte am Markt, die in der Domäne der aktiven Manager wildern: Strategie-ETFs für Growth, Value, Size, Momentum und viele mehr versprechen überlegene Renditen. Ohne Fama, French und Co. wäre die Verwissenschaftlichung der Fonds- und ETF-Industrie schlicht undenkbar gewesen.
Es gibt keine neutrale Forschung
Doch wer allzu bereitwillig der Geschichte der allseits sprudelnden Renditequellen Glauben schenkt, droht einer verdammt pompösen Story auf den Leim zu gehen. So genannte smarte ETFs, die auf bestimmte Eigenschaften zielen, die sie vom breiten Markt unterscheiden, sind sogar ein Teil des Problems. Auch sie betreiben das Spiel des Overselling. Die Performance vieler Faktoren war in den vergangenen Jahren unterdurchschnittlich, und manche Experten sprechen sogar von einer „verlorenen Dekade“ für die Fama-French-Faktoren (bzw. für die Investoren, die auf sie setzen). Doch es gibt nicht nur ein Timing-Problem bei Faktoren. Einige dieser Renditequellen sind auch nach Jahrzehnten umstritten. Etwa der Größenfaktor (Size), der auf die Outperformance-Qualitäten von kleinen Unternehmen gegenüber großen abhebt. Manche Kritiker stellen in Abrede, dass er je existiert hat, unter anderem weil die Renditemessungen fehlerbehaftet gewesen seien.
Das zeigt, dass die Wurzel geplatzter Rendite-Träume nicht auf die marketing-affine Branche der aktiven Fondsmanager zurückgeht. Sie sitzt tiefer: Die Finanzforschung, die akademische wie die praktische, leidet, positiv formuliert, unter einer chronischen Unbescheidenheit. Nüchtern formuliert sind ein großer Teil der Forschungserkenntnisse schlicht falsch. Doch wie kann das sein?
Wissenschaftsethik, Karrierestreben und das Fummeln am P-Faktor
Der Mediziner und Statistiker John Ioannidis veröffentlichte im Jahr 2005 ein bemerkenswertes Paper mit dem Titel „Warum die meisten veröffentlichten Forschungsergebnisse falsch sind“. Er führte den Umstand, dass eine Vielzahl von Studien-Ergebnissen in der Medizinforschung nicht replizierbar sind, auf eine Fülle möglicher Gründe zurück. Besonders interessant in unserem Zusammenhang aber: Finanzielle und nicht-finanzielle Incentives brächten das Risiko mit sich, dass Studien regelmäßig falsche Ergebnisse zutage förderten, so Ioannidis. Für den individuellen Researcher ist es ein handfestes Karriererisiko, wenn die Daten seine Forschungsthese nicht stützen; Institutionen, die keine „interessanten“ Ergebnisse publizieren, drohen Forschungsaufträge abhanden zu kommen.
Diese Probleme, die Ioannidis bei den Medizinern ausgemacht hat, sind eins zu eins übertragbar auf die Finanzwissenschaft. Auch hier herrschen die identischen Zwänge auf Ebene der einzelnen Forscher und auch ganzer Institutionen. Und selbstverständlich haben Asset Manager, die Research publizieren, ein intrinsisches Interesse daran, dass die Ergebnisse dem Verkauf ihrer Fonds und ETFs förderlich sind.
Die zugrundeliegenden Probleme vieler Research Paper, die falsch-positive Ergebnisse aufweisen sind mannigfaltig: Wer viele Hypothesen testet, kann davon ausgehen, dass er eine „richtige“ im Nachhinein herauspicken kann. Und wer nicht zu den gewünschten Ergebnissen kommt, könnte versucht sein, solange „passende“ Zahlen zu verarbeiten, bis das Resultat “stimmt”. In der Statistik spricht man von p-Hacking, wenn die Testparameter im Nachhinein „angepasst“ werden.
Fünf Tipps für kritische Anlegerinnen und Anleger
Doch wie erkennen Anleger die möglichen Fallstricke? Wir haben fünf Punkte zusammengestellt. Sie sollen Ihnen grundsätzlich misstrauisch, aber nicht nihilistisch stimmen. Schließlich gilt es am Ende des Tages, gute Investment-Entscheidungen zu treffen und nicht in die Todesfalle von Olafs Sparbuch zu tappen:
Grundsätzlich sollten Sie sich bewusst machen, dass Studien nicht das Werk altruistischer Freigeister sind, sondern oftmals eine verborgene Agenda hinter Research-Papieren existiert. Das heißt natürlich nicht, dass alles Schrott ist. Auch abhängiges Research von Asset Managern kann hervorragend sein (AQR ist ein Beispiel für eine Quelle erfrischend guter Forschungsfragen). Aber wer sich die Frage „Cui Bono?“ stellt, ist oftmals auf der richtigen Spur und kann die Ergebnisse von Studien besser einordnen.
Anleger sollten Indexanbieter nicht als Halbgötter in weiß missverstehen, die „neutrale“ Benchmarks anbieten, sondern als knallharte Verkäufer von Strategien, die gut performen können – oder aber auch scheitern. Indexanbieter sind Handelsreisende in eigener Sache. Wenn ein Indexanbieter vorgibt, über 250 Investmentfaktoren ausfindig gemacht zu haben, dann könnte das ein Anzeichen dafür sein, dass ihm an der Maximierung der Zahl der Faktor-Indizes gelegen sein könnte (Im konkreten Fall fungieren über 60 dieser Indizes als Underlyings für ETFs).
Wer sich der Problematik des Verkaufsdruck in der Finanzbranche bewusst ist, neigt dazu, Kritikern mit Wohlwollen zu begegnen und ihnen einen Vertrauensvorschuss zu gewähren. Das kann aufs Glatteis führen. So haben vor einigen Jahren drei Autoren in einem Paper davor gewarnt, dass einige hoch bewertete „Smart Beta“-Strategien nach hinten losgehen könnten. Bekräftigt wurden im Gegenzug die Vorteile von Value-Strategien. Es handelte sich um eine Autorengruppe von Research Affiliates, ein Haus, das sich auf die Berechnung von Value-Indizes spezialisiert hat. Das Papier wurde im Jahr 2016 verfasst. Seitdem erlitten Value-Anleger ein wahres Performance-Armageddon. Merke: Die Kritiker der Elche sind am Ende selber welche.
Grundsätzlich sollten Anleger Back-Tests misstrauen. Wenn ein Fondsanbieter eine Pro-Forma-Renditerechnung präsentiert, die in der Vergangenheit mit einer Strategie erzielt wurde, ist das ein Alarmsignal. In den über 20 Jahren, in denen wir die Fondsbranche beobachten, ist uns noch nie ein Backtest untergekommen, der nicht ein dem Produktanbieter genehmes Ergebnis gebracht hätte. Campbell Harvey von der Duke Universität hat eine bemerkenswerte Diskrepanz zwischen der Bilanz von Backtests und den Live-Ergebnissen nach Auflage von Finanzprodukten ermittelt. Das Fazit: Man muss nicht der erste sein, der in unerprobte Strategien investiert.
Eine Investment-Strategie sollte ökonomisch nachvollziehbar sein. Wer die Funktionsweise seiner Strategie auch auf Nachfrage nicht plausibel erklären kann, hat das Vertrauen der Investoren nicht verdient. Wer nun einwendet, dass sich die erfolgreichste Investment-Strategie der vergangenen Jahrzehnte, nämlich der Momentum-Faktor, fundamental nicht erklären lässt, der steckt womöglich zu tief in der Welt der Effizienzmarkthypothese. Momentum-Strategien nutzen die typischen menschlichen Affekte, Gier und Angst, aus, genauer gesagt: den Herdentrieb. Momentum-Strategien haben entsprechend ein signifikantes Risiko: Sie performen bei Wendepunkten an den Märkten ausgesprochen schlecht. Insbesondere Long-Short-Momentum-Ansätze weisen beträchtliche Harakiri-Fähigkeiten auf. Wird der Momentum-Effekt auch in 20 Jahren funktionieren? Keine Ahnung – it depends.
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