Die Verlangsamung des Wirtschaftswachstums in China, verstärkt durch den wackeligen Immobilienmarkt und verängstigte Verbraucher, wirft Schatten auf die globalen Märkte. Reagiert die chinesische Führung mit einer Stimulus-Bazooka, oder hat die KPC das Pulver in den letzten 20 Jahren mit ihren wiederholten Interventionen verschossen?
Trotz seiner Schlüsselrolle im weltweiten Wachstum, mit einem erwarteten Beitrag von über 30 Prozent zum globalen Wirtschaftswachstum 2023, sendet China derzeit Warnsignale. Lokale Schulden steigen besorgniserregend an, während die Regierung versucht, das Gleichgewicht zwischen Wachstum und Stabilität zu wahren.
Notenbanken weltweit verfolgen genau, wie China auf diese Herausforderungen reagiert, da die Auswirkungen weit über seine Grenzen hinaus spürbar sein könnten.
Wirtschaftswachstum in China: Die jüngsten Zahlen
Chinas wirtschaftliche Entwicklung im August zeigte gemischte Signale: sowohl ermutigende Zeichen einer Erholung als auch Andeutungen, dass die Talsohle noch nicht erreicht ist. Der Aufschwung war geprägt von einem Anstieg des Sommerreiseverkehrs und staatlich geförderten Konjunkturmaßnahmen. Laut den Daten des Nationalen Statistikbüros stiegen die industrielle Produktion und der Einzelhandelsumsatz gegenüber dem Vorjahr um 4,5 Prozent bzw. 4,6 Prozent, wobei beide Werte die Erwartungen der Analysten und das Wachstum des Vormonats übertrafen.
Allerdings gab es auch Anzeichen von Schwäche. Das Wachstum der Investitionen in Anlagevermögen betrug für die ersten acht Monate des Jahres nur 3,2 Prozent, was langsamer war als zwischen Januar und Juli. Insbesondere der Immobilienmarkt ist nach wie vor eine Problemzone. Immobilieninvestitionen gingen in den ersten acht Monaten des Jahres gegenüber Vorjahresniveau um 8,8 Prozent zurück, und die Häuserpreise sanken im August schneller als im Juli.
Im Außenhandel sieht es nicht viel besser aus. Für August hatte China einen weiteren monatlichen Rückgang von Importen und Exporten zu vermelden. Einziger Lichtblick war, dass dieser Rückgang weniger stark als von Analysten erwartet ausgefallen ist. Die Exporte (in US-Dollar) gingen im August gegenüber dem Vorjahr um 8,8 Prozent zurück. Die Importe (in US-Dollar) sanken im August gegenüber dem Vorjahr um 7,3 Prozent. Im Ergebnis bleibt festzuhalten, dass Chinas Importe im Jahr 2023 nun jeden Monat gegenüber dem Vorjahreszeitraum gefallen sind. Die Exporte sind seit April rückläufig, was mit der weltweit nachlassenden Nachfrage zusammenhängt. Der Autoexport blieb ein Lichtblick, doch auch hier verlangsamte sich das Wachstumstempo im August.
Auch von den chinesischen Einkaufsmanagern kommen keine Entwarnungssignale. Chinas Fabrikaktivitäten schrumpften im August den fünften Monat in Folge, während der PMI für das Dienstleistungsgewerbe für das Jahr ein neues Tief erreichte. Der offizielle Einkaufsmanagerindex für das verarbeitende Gewerbe stieg im August leicht auf 49,7 (Juli: 49,3). Der PMI im Dienstleistungssektor fiel im August auf 51,0 (Juli: 51,5 und Juni:53,2).
Das Ganze ist natürlich nicht spurlos an der chinesischen Währung und dem Kapitalmarkt vorbeigegangen. China erlebt gerade den größten Kapitalabfluss seit 2015. Laut den neuesten offiziellen Daten zu Chinas Zahlungsbilanz sind im August 49 Milliarden Dollar aus dem Kapitalkonto geflossen. Davon kamen 29 Milliarden Dollar aus Wertpapierinvestitionen. Dieser Exodus, angetrieben auch durch die wachsende Zinsdifferenz mit den USA, hat den Yuan auf ein 16-Jahrestief gedrückt. Die chinesische Währung hat sowohl an den Onshore- als auch an den Offshore-Märkten um mehr als 5 Prozent nachgegeben, was die schlechteste Entwicklung in Asien nach dem malaysischen Ringgit darstellt.
Politbüro Meeting im Juli: Hoffen auf Stimuli
Das Juli-Treffen des Politbüros klang für Anleger erstmal vielversprechend und weckte Erwartungen an eine deutliche fiskalpolitische Stimulierung des Marktes. Sogar auf den Ausdruck „Wohnungen sind zum Leben da, nicht zur Spekulation“ wurde im Abschlussbericht verzichtet. Stattdessen sprach man von „großen Veränderungen“ in der Nachfrage-Angebots-Dynamik auf dem Immobilienmarkt. Der Immobiliensektor des Landes kämpft darum, sich von einer Kreditkrise zu erholen, die durch die Politik der “Drei Roten Linien” im August 2020 maßgeblich mitverursacht wurde.
Allerdings wurden die Hoffnungen auf massive staatliche Unterstützung – die sogenannte „Bazooka“ – bis heute nicht erfüllt. Die bis dahin getroffenen Maßnahmen galten als nicht ausreichend, um das Wirtschaftswachstum in China anzukurbeln und potenzielle Risiken im Wohnungsmarkt zu minimieren. Das Resultat: Die positiven Indexgewinne von 9 Prozent im Juli wurden in den ersten zwei Augustwochen fast vollständig zunichte gemacht. Doch gegen Ende August gab es eine “kleine” Wende. Mit gezielten Maßnahmen für den Immobilien- und Finanzmarkt versucht die chinesische Politik gegenzusteuern. Auch wenn diese Aktionen manche Investoren nicht komplett überzeugen, haben sie doch das Potential, das zyklische Wachstum zu stützen.
Wie kurbelt die KPC Wirtschaftswachstum in China an?
Ende August haben die Volksbank der VR China und die Nationale Verwaltung für Finanzregulierung die Eigenkapitalanforderungen für Erst- und Zweitkäufer von Wohnungen gesenkt. Die Mindestanzahlung beträgt nun 20 Prozent für Erstkäufer (vormals 30 Prozent) und 30 Prozent für Zweitkäufer (vormals 40 Prozent). Die Regeln treten aber erst am 25. September in Kraft und müssen von den Banken in den einzelnen Regionen umgesetzt werden.
Die Zentralbank genehmigte auch eine Zinssenkung sowohl für neue als auch bestehende Hypotheken für Erst- und Zweitwohnungen. Außerdem erlaubt die Zentralregierung den lokalen Regierungen, eine Regelung abzuschaffen (认房不认贷), nach der Personen, die bereits einmal eine Hypothek hatten – selbst wenn sie vollständig zurückgezahlt und die Wohnung bereits verkauft wurde – nicht mehr als Erstkäufer auftreten können. Die vier größten Städte Chinas haben diese Regel mittlerweile annulliert.
Das Finanzministerium gab am 27. August bekannt, dass die Stempelsteuer auf Aktiengeschäfte von 0,1 Prozent auf 0,05 Prozent halbiert werden soll. Die Maßnahme zielt darauf ab, den Kapitalmarkt zu beleben und das Vertrauen der Anleger zu stärken. Auch wenn solche Schritte erst einmal begrüßt werden sollten, gibt es bei solchen Massnahmen Grund für Skepsis. Wie von vielen Beobachtern vorhergesagt, verpuffte die Wirkung innerhalb weniger Tage. Als die Stempelsteuer in 2008 von 0,3 Prozent auf 0,1 Prozent gesenkt wurde, verzeichnete der CSI 300 Index einen Tagesgewinn von 9,3 Prozent. Diesmal waren es nur 1,1 Prozent, wobei der Index im Laufe des Tages kurzzeitig um mehr als 5 Prozent anstieg. Verpuffen ist also die korrekte Beschreibung. Wenn all dies nicht hilft, kommt es schon mal vor, dass die chinesischen Behörden – wie jüngst Mitte August geschehen – die großen einheimischen Investmentfonds auffordern, keine Nettoverkäufer von A-Share-Aktien zu werden. Den Abwärtstrend des CSI 300 hat dies aber auch nicht aufhalten können.
Viele Städte und Regionen haben Verzehrgutscheine an Bürger ausgegeben, um den Konsum anzukurbeln. Bisher mit sehr mageren Ergebnissen. Häufig sind die Voucher an Mindestverzehr gebunden, der zu hoch angesetzt wird und letztlich dazu führt, dass kaum einer von ihnen Gebrauch macht. Ende Juli schon hatte die chinesische Zentralregierung 20 Maßnahmen zur Belebung des Tourismus und zur Förderung des Konsums angekündigt. Ein Hauptaugenmerk wurde auf den Kauf von Elektro- und Hybridautos gelegt. Eine weitere wichtige Initiative fördert die Umgestaltung von Haushalten in „intelligente Wohnungen“, die vernetzte Geräte nutzen, bekannt als Internet der Dinge. Leider wird hier in fataler Weise verkannt, dass Massnahmen zur Erleichterung des Konsums nicht das eigentliche Problem adressieren: Nämlich die Zuversicht der Konsumenten, dass sich ihre Einkommenslage in der Zukunft deutlich verbessern wird. Konsum “einfacher” zu machen, reicht nicht.
Letzte Woche Donnerstag hat die Zentralbank Chinas zum zweiten Mal in diesem Jahr den Betrag, den Finanzinstitute als Reserve halten müssen (RRR – Reserve Requirement Ratio), um 25 Basispunkte reduziert. Nach dem Schnitt wird der gewichtete durchschnittliche Mindestreservesatz für Banken 7,4 Prozent betragen. Eine Reduzierung des RRR schafft günstiges langfristiges Kapital für Banken und ermöglicht ihnen, mehr Kredite an Unternehmen und Verbraucher zu vergeben.
Die chinesische Zentralbank hat letzte Woche ebenfalls weitere 191 Milliarden Yuan Liquidität über die einjährige mittelfristige Kreditfazilität (MLF) zur Verfügung gestellt. Diese Maßnahme könnte bis zu 500 Milliarden Yuan freisetzen. Darüber hinaus wurden 34 Milliarden Yuan über ein 14-tägiges Geldmarktdarlehen eingespeist. Die Bereitstellung dieser Liquidität hat aber zu dieser Jahreszeit mehr mit einer erhöhten Nachfrage nach Bargeld im Vorfeld der nationalen “Golden Week” Feiertage um den 1. Oktober zu tun. Trotz dieser aktiven Interventionen bleibt der MLF-Zinssatz unverändert bei 2,5 Prozent.
Hat die KPC den Mut für echte Strukturreformen?
Die August-Daten sehen zwar gut aus, Grund für Euphorie sind sie aber nicht. Nach dem Motto: Ein guter August macht noch keinen Turnaround. Zum Beispiel hat die oben bereits angesprochene Zunahme der industriellen Aktivität eher staatliche als private Unternehmen begünstigt: Der industrielle Mehrwert stieg bei staatlichen Unternehmen um 5,2 Prozent im Vergleich zum Vorjahr, bei privaten Unternehmen jedoch nur um 3,4 Prozent. Das Wachstum bei den Investitionen in Anlagevermögen hat sich ebenfalls zugunsten staatlicher Unternehmen verschoben, die ihre Ausgaben um 6,1 Prozent im Vergleich zum Vorjahr erhöhten. Private Unternehmen hingegen reduzierten ihre Ausgaben um 2,2 Prozent. Damit die Erholung anhält, muss die Beteiligung privater Unternehmen steigen. Der Anstieg im Einzelhandelsumsatz ist ein positives Zeichen, aber das Wachstum liegt immer noch weit unter der durchschnittlichen Expansionsrate von 8,1 Prozent, die 2019 vor der Pandemie verzeichnet wurde.
Und obwohl ein Rückgang der städtischen Arbeitslosenquote um 10 Basispunkte auf 5,2 Prozent im letzten Monat ein weiteres gutes Zeichen ist, veröffentlicht das Statistikamt keine Daten zur Jugendarbeitslosigkeit mehr. Und die stand bei 21,3 Prozent im Juli und wird sich in den Sommermonaten kaum verbessert haben, da dies bekanntlich die Hochphase ist, wenn die Uni-Absolventen in den Arbeitsmarkt drängen. Um die Erholung des letzten Monats aufrechtzuerhalten, muss die verbesserte wirtschaftliche Aktivität über das staatlich getriebene Wirtschaftswachstum hinausgehen. Und das erfordert die Stärkung des Unternehmensvertrauens sowie die Ermutigung der Haushalte zum Ausgeben und die Belebung oder zumindest Stabilisierung des Immobiliensektors. Einmal verlorenes Vertrauen auf Seiten der Verbraucher lässt sich nicht auf Knopfdruck wiederherstellen. Denn 70 Prozent der Vermögenswerte einer typischen chinesischen Familie steckt in ihren Immobilienwerten.
Das über Jahrzehnte erfolgreiche Wachstumsmodell Chinas ist ein und für alle mal an seine Grenzen gelangt. Der Immobiliensektor mit seinem 30 Prozent-Anteil am BIP muss zukünftig durch andere Wertbeiträge teilweise ersetzt werden. Hier kommt der Rolle des privaten Verbrauchs eine wesentliche Rolle zu. Der private Konsum macht bisher weniger als 40 Prozent des BIP Chinas aus, verglichen mit einem weltweiten Durchschnitt in anderen Ländern von ungefähr 60 Prozent. Die mittel- bis langfristig volkswirtschaftlich notwendigen Vermögenstransfer hin zu den privaten Haushalten machen einschneidende und schmerzhafte Reformen notwendig. Ob der politische Wille dazu vorhanden ist, wird sich zeigen müssen. Jedenfalls scheint nun klar, dass die große Bazooka nicht aufgefahren wird. Zwar hätte die noch gering verschuldete Zentralregierung, anders als die Lokalregierungen, die nötige Feuerkraft, um grosse Infrastrukturpakete zu verabschieden. Es mangelt aber schlichtweg an Projekten, die noch eine angemessene Kapitalrendite versprechen. Wie in den USA Schecks an die eigene Bevölkerung zu verteilen, wird von Xi Jinping mit Verweis auf das in China verpönte “Welfarism” verworfen.
Dass das Bild trist ist, zeigen auch die Reaktionen am Kapitalmarkt: Der MSCI China und der CSI300 Index präsentieren sich derzeit mit günstigen Kurs-Gewinn-Verhältnissen von 10 bzw. 11. Diese Werte liegen mit 18 Prozent bzw. 11 Prozent weit unter ihren 5-Jahres-Durchschnitten. Noch bemerkenswerter ist, dass sie 40 Prozent bzw. 30 Prozent unter den Aktienbewertungen von Industrie- und Schwellenländern ohne China liegen. Ein klares Signal, dass diese Indizes am unteren Ende ihrer historischen Bewertungsspannen angelangt sind. Ein interessanter Trend ist bei Hedgefonds zu beobachten. Sie haben ihre ursprünglichen China Reopening Positionen fast vollständig abgebaut. Auch die Manager regulierter offener Fonds sind vorsichtig geworden. Beim Northbound Stock Connect sieht es nicht anders aus, wo wir den größten Ausverkauf seit der Einführung des Connect-Programms im Jahr 2014 gesehen haben: 11 Milliarden Dollar innerhalb von 13 aufeinanderfolgenden Tagen im August.
Die Wirtschaft Chinas ist nicht dort, wo sie sein sollte. Das Wachstumsziel von etwa 5 Prozent für dieses Jahr, das allen Beobachtern im März noch als “lowballing” erschien, kann mittlerweile als ansehnliches Ergebnis gelten. Wie sagte Xi Jinping doch gleich in der letzten Sitzung des Politbüros Ende Juli, wo es hauptsächlich um Wirtschaftsfragen ging?
“Nachdem sich die Prävention und Kontrolle der Epidemie stabilisiert hat, ist die wirtschaftliche Erholung ein Prozess wellenartiger Entwicklung und gewundener Fortschritte.”
Die Partei hat zwar nicht immer Recht, aber manchmal dann doch.
Dieser Beitrag stellt eine Meinungsäußerung und keine Anlageberatung dar.
Dieser Beitrag wurde zuerst auf der Internetseite thedlf.de unter https://thedlf.de/wirtschaftswachstum-in-china-kommt-godots-bazooka/ veröffentlicht.
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