Raserland Deutschland – Das droht bei Geschwindigkeitsüberschreitungen

Weltweit ist Deutschland eines der wenigen Länder, in denen grundsätzlich keine Geschwindigkeitsbegrenzung auf den Autobahnen gilt. Dieser Grundsatz gilt selbstverständlich nur dort, wo keine Geschwindigkeitsbegrenzungen durch Schilder angeordnet wurden. Dies führt in der Praxis dazu, dass der Grundsatz in weiten Teilen durch die Regelungswut der deutschen Behörden ausgehöhlt wurde. Deshalb kann eine überhöhte Geschwindigkeit sehr schnell teuer werden: Es drohen Bußgelder, Punkte auf dem Punktekonto in Flensburg und Fahrverbote. Wie teuer es wird und welche weiteren Folgen drohen, regelt der aktuelle Bußgeldkatalog. 

Ein Überblick:

StVO Novelle 2020: Die meisten Bußgeldbescheide sind angreifbar

Im Rahmen der StVO-Novelle im Jahr 2020 wurde der Bußgeldkatalog umfassend reformiert. Die Strafen für Fehlverhalten im Straßenverkehr wurden drastisch erhöht. Dies betrifft auch die Bußgelder, Punkte und Fahrverbote für Geschwindigkeitsüberschreitungen. Zum Glück für viele Verkehrssünder sind große Teile der neuen Regelungen rechtlich unwirksam, da der Gesetzgeber bei der Reform formelle Fehler gemacht hat. Die meisten Bundesländer stellen die Ordnungswidrigkeitsverfahren ein, wenn man mit anwaltlicher Hilfe gegen die Bußgeldbescheide vorgeht oder greifen auf die milderen Regelungen zurück, die vor der Novelle galten. 

Innerorts wird hart bestraft

Es macht einen erheblichen Unterschied, ob Sie innerhalb von Ortschaften oder außerhalb von Ortschaften geblitzt werden. Während der Gesetzgeber bei Geschwindigkeitsverstößen auf  Landstraßen oder der Autobahn relativ “kulant” ist, wird eine zu hohe Geschwindigkeit in der Stadt hart bestraft, da hier meist ein höheres Gefährdungspotenzial gegeben ist: Menschen sind auf oder an den Straßen, Fahrrad- und Gehwegen unterwegs, parkende Autos versperren die Sicht und die Verkehrslage ist oft unübersichtlich. Damit ist das Gefährdungspotential wesentlich höher als beispielsweise auf Autobahnen.

Es gilt innerorts also grundsätzlich eine Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h. Einige Städte haben auch bereits schon eine Maximalgeschwindigkeit von 30 km/h vorgegeben. Daneben gibt es 30er-Zonen oder verkehrsberuhigte Bereiche (Spielstraßen) mit einer Höchstgeschwindigkeit von 10 km/h (Schrittgeschwindigkeit). 

Überschreitet man die vorgegebene Höchstgeschwindigkeit um 21 km/h droht bereits ein Bußgeld von 80€ und ein Punkt in Flensburg. Gemäß der neuen Regelung im Bußgeldkatalog müssen Sie obendrein mit einem Monat Fahrverbot rechnen. Nach dem alten Bußgeldkatalog war ein Fahrverbot erst ab 26 km/h zu erwarten und wurde in der Regel nur dann verhängt, wenn Sie mehrere Geschwindigkeitsverstöße innerhalb eines Jahres zu verzeichnen hatten. Aktuell sieht der Bußgeldkatalog je nach Höhe der Geschwindigkeitsüberschreitung innerorts bis zu 680€ Bußgeld, 2 Punkten in Flensburg und bis zu 3 Monaten Fahrverbot vor.

Übersicht über die Bußgelder vor und nach der StVO Novelle 2020:

Bußgeldkatalog für Geschwindigkeitsüberschreitung innerorts (ab April 2020)
Geschwindigkeit überschritten um …BußgeldPunkte in FlensburgLänge des Fahrverbots
   
… bis zu 10 km/h30 €Kein Fahrverbot
… 11 – 15 km/h50 €Kein Fahrverbot
… 16 – 20 km/h70 €Kein Fahrverbot
… 21 – 25 km/h80 €1 Punkt1 Monat
… 26 – 30 km/h100 €1 Punkt1 Monat
… 31 – 40 km/h160 €2 Punkte1 Monat
… 41 – 50 km/h200 €2 Punkte1 Monat
… 51 – 60 km/h280 €2 Punkte2 Monate
… 61 – 70 km/h480 €2 Punkte3 Monate
… mehr als 70 km/h680 €2 Punkte3 Monate
Bußgeldkatalog für Geschwindigkeitsüberschreitung innerorts (bis April 2020)
Geschwindigkeit überschritten um …BußgeldPunkte in FlensburgLänge des Fahrverbots
   
… bis zu 10 km/h15 €Kein Fahrverbot
… 11 – 15 km/h25 €Kein Fahrverbot
… 16 – 20 km/h35 €Kein Fahrverbot
… 21 – 25 km/h80 €1 PunktKein Fahrverbot
… 26 – 30 km/h100 €1 Punkt1 Monat
… 31 – 40 km/h160 €2 Punkte1 Monat
… 41 – 50 km/h200 €2 Punkte1 Monat
… 51 – 60 km/h280 €2 Punkte2 Monate
… 61 – 70 km/h480 €2 Punkte3 Monate
über 70 km/h680 €2 Punkte3 Monate
Bußgeldkatalog für Geschwindigkeitsüberschreitung außerorts (ab April 2020)

Außerorts droht ein einmonatiges Fahrverbot erst ab 26 km/h zu viel, ab 21 km/h gibt es einen Punkt in Flensburg.

Geschwindigkeit überschritten um …BußgeldPunkte in FlensburgLänge des Fahrverbots
   
… bis zu 10 km/h20 €Kein Fahrverbot
… 11 – 15 km/h40 €Kein Fahrverbot
… 16 – 20 km/h60 €Kein Fahrverbot
… 21 – 25 km/h70 €1 PunktKein Fahrverbot
… 26 – 30 km/h80 €1 Punkt1 Monat
… 31 – 40 km/h120 €1 Punkt1 Monat
… 41 – 50 km/h160 €2 Punkte1 Monat
… 51 – 60 km/h240 €2 Punkte1 Monat
… 61 – 70 km/h440 €2 Punkte2 Monate
über 70 km/h600 €2 Punkte3 Monate
Bußgeldkatalog für Geschwindigkeitsüberschreitung außerorts (bis April 2020)
Geschwindigkeit überschritten um …BußgeldPunkte in FlensburgLänge des Fahrverbots
   
… bis zu 10 km/h10 €Kein Fahrverbot
… 11 – 15 km/h20 €Kein Fahrverbot
… 16 – 20 km/h30 €Kein Fahrverbot
… 21 – 25 km/h70 €1 PunktKein Fahrverbot
… 26 – 30 km/h80 €1 Punkt1 Monat
… 31 – 40 km/h120 €1 Punkt1 Monat
… 41 – 50 km/h160 €2 Punkte1 Monat
… 51 – 60 km/h240 €2 Punkte1 Monat
… 61 – 70 km/h440 €2 Punkte2 Monate
über 70 km/h600 €2 Punkte3 Monate
Bußgelder in Spezialfällen

Der Bußgeldkatalog ordnet in bestimmten Sonderfällen, in denen aufgrund der speziellen Verkehrssituation regelmäßig ein höheres Gefahrenpotential droht, höhere Sanktionen an. Hierzu gehört auch eine Strafe für zu langsames Fahren oder wenn Sie Ihre Geschwindigkeit nicht den Sichtverhältnissen anpassen, z.B. bei Nebel. 

BeschreibungBuß­geldPunkte in FlensburgLänge des Fahrverbots
Geschwin­digkeit in verkehrs­beruhig­tem Bereich nicht ein­gehalten (bis 10 km/h zu viel)20 €Kein Fahrverbot
Geschwin­digkeit trotz Bahn­übergang,schwierigen Straßenverhältnissen und schlechter Sicht nicht angepasst100 €1 PunktKein Fahrverbot
… dabei andere gefährdet120 €1 PunktKein Fahrverbot
… dadurch Sachschäden verursacht145 €1 PunktKein Fahrverbot
Durch zu hohe Geschwindigkeit mangelnde Bremsbe­reitschaft oder ungenü­genden Seiten­abstand; Kinder, Hilfsbe­dürftige oder Senioren gefährdet80 €1 PunktKein Fahrverbot
Ohne triftigen Grund durch zu langsames Fahren den reibungs­losen Verkehrsfluss behindert20 €Kein Fahrverbot

Geschwindigkeitsüberschreitung in der Probezeit

Wer bereits in den ersten zwei Jahren ab Erteilung seines Führerscheins durch Geschwindigkeitsverstöße auffällt, hat harte Strafen zu erwarten. In der Probezeit sind die Regeln etwas strenger und die Konsequenzen härter als bei Fahrern, die bereits eine längere Fahrpraxis vorweisen können. So gilt bei Fahranfängern eine 0,0-Promillegrenze bei Alkohol am Steuer und bei Geschwindigkeitsüberschreitungen von mehr als 20 km/h verlängert sich die Probezeit auf insgesamt vier Jahre. Außerdem muss der Fahranfänger an einem teuren  Aufbauseminar teilnehmen. 

Ab welcher Geschwindigkeit wird überhaupt geblitzt?

In der Theorie kann das niedrigste Bußgeld für eine Geschwindigkeitsüberschreitung von bis zu 10 km/h ab 1 km/h Geschwindigkeitsüberschreitung gelten. Allerdings werden Sie ab diesem einem km/h normalerweise noch nicht geblitzt: Die Blitzer lösen erst ab 3 km/h zu schnell aus, teils sogar noch später. Damit soll verhindert werden, dass der in der Rechtsprechung und Verwaltungspraxis anerkannte “Toleranzabzug” zur Einstellung von Verfahren führt. Von der gemessenen Geschwindigkeit werden in der Regel 3 km/h abgezogen, um dem Argument der Messungenauigkeiten entgegenzutreten. Bei höheren Geschwindigkeiten ab ca. 100 km/h werden sogar bis zum 5% Toleranzabzug gewährt. Wie hoch die Toleranz ausfällt, hängt also im Einzelfall davon ab, wie schnell sie tatsächlich gefahren sind und welches Messgerät eingesetzt wurde. Die abgezogene Toleranz finden Sie später auch auf dem Bußgeldbescheid vermerkt.

Die meisten Geschwindigkeitssünder ziehen gedanklich also schon einmal eine Messtoleranz von 3 km/h ab nachdem sie geblitzt wurden. Hinzu kommt, dass der Tachoanzeige der meisten Fahrzeuge ebenfalls eine gewisse Ungenauigkeit innewohnt. Meist zeigt dieser einige km/h mehr an, als Sie tatsächlich fahren. Übrigens: Ihr Tacho wird niemals weniger anzeigen, als Sie fahren – das müssen Automobilhersteller garantieren. Sie können sich also nach dem ersten Schock erstmal beruhigend “runterrechnen” bevor Sie sich online den Bußgeldkatalog ansehen.

Geblitzt – Was tun?

Wie aus dem Nichts kommt der rote Blitz und Sie wissen: Das wird teuer. Schlimmstenfalls droht sogar ein Fahrverbot. Jetzt beginnt das große Rechnen: Wie schnell war ich? Wie viel Toleranz hat mein Tacho und das Messgerät? Und welche Strafe kommt auf mich zu. 

Die Antwort hierauf kommt erst mit dem Bußgeldbescheid. Und ein Bußgeldbescheid ist wie jeder andere Bescheid einer Behörde anfechtbar. Sie können sich also entscheiden, ob Sie die Strafe akzeptieren oder ob es sich lohnt zu kämpfen. In der Regel kann ein motivierter Anwalt für Sie ein Fahrverbot abwenden oder eine Einstellung des Verfahrens bewirken. Ein guter Anwalt ist aber teuer – Sie müssen also Abwägen, ab wann sich die Einschaltung eines Profis lohnt.

Ein Einspruch gegen den Bescheid muss immer schriftlich erfolgen – wer das auf eigene Faust versuchen möchte muss wissen: Eine Einstellung des Verfahrens kommt nur in Betracht, wenn nachweisbar ist, dass

  • man nicht selbst gefahren ist
  • der Bußgeldbescheid formell fehlerhaft ist oder
  • dass nachweisliche Mängel bei der Geschwindigkeitsmessung (z.B. am Messverfahren oder Messgerät) vorgelegen haben.

Die Erfolgsaussichten hierfür sind im Durchschnitt relativ hoch: Etwa ein Drittel aller Bußgeldbescheide ist tatsächlich fehlerhaft. Mit Hilfe eines Experten können solche Fehler erkannt und genutzt werden. Außerdem kann ein Experte sogar formelle Fehler im nachfolgenden Bußgeldverfahren erkennen und nutzen, wenn die eigentliche Messung eigentlich korrekt ist. Die Experten erkennen nach der beantragten Akteneinsicht, woraus sich eine Unverwertbarkeit der Messung ergeben kann. Ein Kämpfen lohnt sich immer dann, wenn man ein Fahrverbot verhindern will. Meist kann dies auch in Fällen erreicht werden, in denen die Messung nicht zu beanstanden ist. 

Notfalls wird man die Angelegenheit vor Gericht klären müssen. Es gibt eine Vielzahl möglicher Angriffspunkte, um gegen den Bußgeldbescheid vorzugehen.Nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts führen auch fehlende oder unzureichende Mess-Stammdaten zu einer Einstellung der Verfahren, da ohne Zugriff auf diese Rohdaten eine Prüfung des Messergebnisses nicht möglich ist. 

Ein “Skandalurteil” des Oberlandesgerichts Frankfurt kostete die Stadt Frankfurt im Jahr 2019 mehrere hunderttausend Euro an Einnahmen durch Blitzer. Die Stadt hatte die Geschwindigkeitsmessung nicht selbst durchgeführt sondern an private Firmen ausgelagert. Diese Praxis hat das Oberlandesgericht nun für unzulässig erklärt.

Eine weitere Option sieht das Gesetz vor: Nach § 4 Abs. 4 der Bußgeldkatalogverordnung kann ein verhängtes Fahrverbot umgewandelt werden in ein höheres Bußgeld oder zeitlich verschoben werden. Diese Möglichkeiten können ausnahmsweise angewandt werden, um die eigene Mobilität aufrechtzuerhalten, wenn der Fahrer ansonsten erhebliche Nachteile zu befürchten hat. Dies kann mit guter Argumentation erreicht werden und das Fahrverbot kann dann bestenfalls im Urlaub „abgesessen“ werden. 

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Photo by Denny Müller on Unsplash