USA vor der Rezession? Die 5 Illusionen des US-Konsumenten

Die Stärke der US-Wirtschaft war die Überraschung dieses Jahres. Gestützt durch den US-Konsumenten hat das US-BIP im dritten Quartal annualisiert um 5,2 Prozent zugelegt. Fünf Thesen, warum die bisherige Stütze der US-Wirtschaft 2024 zum Wackelkandidat werden könnte.

„It’s the consumer, stupid!“ – der abgewandelte Wahlspruch des US-Präsidentschaftskandidaten Bill Clinton aus den 1990-er Jahren („It’s the economy, stupid!) passte 2023 wie die Faust aufs Auge, wenn es darum geht, die unerwartete Stärke der US-Wirtschaft zu erklären. Noch Ende 2022 waren sich die Ökonomen einig: Die Rezession in den USA kommt. Die Aussichten für den Aktienmarkt waren seinerzeit düster: Die Inflation war hoch, und die US-Notenbank hatte die Zinsen im rekordverdächtigen Tempo von nahe null auf gut fünf Prozent erhöht. Die Antwort des US-Konsumenten auf die Unkenrufe findet sich in der unteren Grafik, die mehr als 1.000 Worte sagt.

Die Stärke des US-Monster-Konsumenten hat die Märkte 2023 auf den Kopf gestellt: Die Anleihenrenditen stiegen weiter, und die Aktienmärkte legten eine denkwürdige Rally hin, die sich beim Wachstums-Index Nasdaq 100 mit einem Plus von über 30 Prozent per Ende November niederschlug. Heute sind die Kritiker verstummt. Angeführt von Goldman Sachs haben sich etliche Investmentbanken vorsichtig-optimistisch für den Konjunkturverlauf 2024 geäußert. Meine fünf Thesen zur Illusion des US-Konsumenten gehen in eine andere Richtung. Der Riese könnte sich 2024 als Scheinriese outen und die USA in die Rezession treiben. 

Die Equity Illusion

Dass die US-Bürger viel stärker am Aktienmarkt engagiert sind als in Deutschland, ist bekannt. Die logische Folge ist, dass mit steigenden Aktienkursen der „Wealth Effect“ in den vergangenen Jahren gestiegen ist. Wer sich wohlhabend fühlt, gibt mehr aus. So nährt die Rally den Konsum und der Konsum die Rally. Die Buchgewinne könnten sich allerdings 2024 als „Equity Illusion“ entpuppen, wenn 2024 die Unternehmensgewinne stagnieren infolge der sich verlangsamten Investitionstätigkeit, die durch stark gestiegene Kreditzinsen ausgebremst wird. Da die Aktionärsquote bereits auf Höchstständen ist, werden bei einem Absinken der Kurse die Anschlusskäufer fehlen. Entpuppt sich der „Equity Wealth“-Faktor als Illusion, fällt ein Pfeiler der Konsumentenstärke weg.

Home Equity Illusion

Eng zusammenhängend mit dem Equity Wealth-Faktor ist der Home Equity Faktor. Auf deutsch heißt das: Die Häuserpreise verharren auf sehr hohen Niveaus, wie die untere Grafik illustriert. Die Corona-Krise 2020 taucht nur als eine kleine Delle in der stetigen Aufwärtsentwicklung der Immobilienpreise der vergangenen zehn Jahre in Erscheinung. Der viel beachtete FHFA US House Price Index befindet sich auf Höchstniveaus. Gestützt werden die Preise auch dadurch, dass viele US-Hausbesitzer die Niedrigzinsphase genutzt haben, um sich langfristig günstige Immobilienkredite zu sichern. Auch daher befindet sich die Zahl der Transaktionen auf niedrigen Niveaus, was die Preise stützt. Doch die Kehrseite ist, dass sich immer weniger Amerikaner eine Immobilie leisten können. Im Gegensatz zu Deutschland ist der US-Mietermarkt dysfunktional, was für viele Menschen zu einem Problem wird. Je länger die Zinsen oben bleiben, desto mehr Bürger werden bei der Refinanzierung von Hypotheken überfordert. Diejenigen, die mehr Geld für die Immobilienfinanzierung aufbringen müssen, werden weniger Geld für den Konsum übrig haben. Sollten dann die Immobilienpreise fallen, wird die Besicherung der Konsumschulden durch Immobilien ein großes Problem. Ein fallender Häusermarkt wäre ein ziemlich klarer Indikator für eine kommende Rezession in den USA.

Employment Illusion

Die Corona-Krise stellte viele US-Arbeitnehmer zunächst vor ein Dilemma: ganze Wirtschaftszweige machten von heute auf morgen dicht, und sie verloren ihre Jobs. Doch die Krise war der Startschuss für einen bemerkenswerten Wealth-Effect. Die Corona-Hilfen der US-Regierung waren eine Riesenstütze, und nach der Post-Corana-Wiedereröffnung führte die Nachfrage nach Arbeitnehmern in vielen Branchen zu einem deutlichen Anstieg der Löhne und zu einem massiv steigenden Angebot an Stellen sowie an Stellenneubesetzungen. Davon haben vor allem die unteren Lohngruppen profitiert. Ein genauerer Blick auf den unteren Chart zeigt jedoch, dass sich der Arbeitsmarkt abschwächt: Neueinstellungen und Lohnwachstum sind rückläuftig. Die jüngsten Jolts-Daten (Job Openings and Labor Turnover Survey) zeigen, dass die Zahl der offenen Stellen so niedrig ist wie seit zwei Jahren nicht mehr. Die Urlaubssaison dürfte diesen neuen Trend etwas verzögern, aber ab Januar werden viele Saisonkräfte nicht länger gebraucht. Auch das dürfte zu einer Anpassung beim Konsumverhalten führen.

Nanny-State Illusion

Die USA gelten in Europa als Hort des Manchester-Kapitalismus mit einem sehr grobmaschigen sozialen Netz. Das täuscht. Auch in den USA war in den vergangenen Jahren der Nanny-State auf dem Vormarsch: Die Staatsausgaben für Gesundheit, Medicare/Medicaid, sind stark gestiegen, ebenso wie die Ausgaben für die sozialen Sicherungssysteme. Bereits oben haben wir das Thema Helikopter-Geld angesprochen. Dazu zählt auch das Moratorium für Studienkredite, was eine erhebliche Entlastung für rund 40 Millionen Amerikanerinnen und Amerikaner brachte, die offenkundig die eingesparten Kreditraten für den Konsum genutzt haben. Auch wenn die Biden-Administration zuletzt für Entlastungen unterer Einkommenssichten bei der Bedienung der Kredite gesorgt hat, so müssen die Studienkredite seit Oktober wieder bedient werden. Das Beispiel der Studienkredite ist nur ein Teil des Puzzles, der mich zum Fazit bringt: Der US-Staat kann sich den Sozialstaat nicht mehr leisten, zumal die Zinszahlungen für US-Treasuries infolge steigender Renditen in der zweiten Hälfte dieses Jahrzehnts deutlich steigen werden. Die Zerwürfnisse zwischen Demokraten und der GOP im Kongress werden in den nächsten Jahren zunehmend zur steigenden Spannung in der Haushaltslage führen. Mehrausgaben werden die Republikaner ohnehin blockieren. Sollten sie die Wahl nächstes Jahr gewinnen, wird in der Rezession auch die Sozialdemokratisierung der USA schnell begraben. Auf den Fürsorgestaat werden sich die Konsumenten nicht mehr verlassen können.

Debt Service Illusion

Der Zinsanstieg führt dazu, dass US-Konsumenten von allen möglichen Seiten die Kredit-Daumenschrauben angezogen werden. Die Zinsen für Kreditkartenschulden sind im vergangenen Jahr von rund 15 Prozent auf durchschnittlich über 20 Prozent gestiegen. Dass der US-Konsument derzeit einen Kredit-Squeeze erlebt, aus dem ihm Uncle Sam nicht heraushelfen wird, zeigt die Zahl an Defaults auf Autokredite bei Konsumenten mit einer Subprime-Bonität. Die faulen Kredite befinden sich auf dem höchsten Niveau seit Mitte der 1990-er Jahre. Der untere Chart zeigt, wie stark sich die Belastungen von der Kreditseite seit 2021 insgesamt erhöht haben – vom historisch niedrigen Niveau von knapp 2,5 Prozent im Jahr 2020 auf derzeit etwa fünf Prozent. Vergleichbar hohe Belastungs-Niveaus waren meist zeitlich korreliert mit Rezessionen in den USA, etwa 1990, 2007/8 wie auch 2020. In Summe sieht es also nicht gut aus für den US-Konsumenten, von dessen Aufstieg und Fall in der Vergangenheit Wohl und Wehe des BIP-Wachstums abhing. Der derzeitige Konjunkturoptimismus für die USA dürfte 2024 auf die Probe gestellt werden.

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