Dumb Money versus Schwarm-Intelligenz. Viele KI-Systeme gründen auf der Intelligenz der Masse, die informierter agiert als der Einzelne. Das ist bei der Identifizierung von Anlageideen anders. Beim Investieren gilt der Herdentrieb als Feind des Anlegers. Wie Anleger durch die Deutung der Verhaltensweisen ihrer Spezies ihre Performance verbessern können.
Mittelflüsse in Fonds: Ein Muster mit welchem Wert?
Wenn ein einzelner Anleger einen Fonds kauft, dann handelt es sich um eine wenig beachtenswerte, einzelne Transaktion. Wenn dagegen viele Anleger einen oder mehrere ähnliche Fonds kaufen und viel Geld mobilisieren, dann macht das einen Trend. Doch was hat der zu bedeuten?
Kauf- und Verkaufstrends von Fondsanlegern sind in der Finanzforschung wie in der Praxis höchst relevant. So sind sie eine wichtige Informationsquelle für Hedgefonds, für das Fondsmarketing, für Medien, Verhaltensforscher und Finanzwissenschaftler. Sie alle analysieren die Mittelflussdaten zu Fonds für ihre Zwecke.
Für uns soll es darum gehen, ob auch Fondsanleger aus dem Verhalten der eigenen Spezies gewinnbringende Informationen ziehen können. Und „gewinnbringend“ ist hier wörtlich gemeint. Bleiben Sie also dran!
Fonds bewegen Märkte
Am Anfang steht die Binsenweisheit, dass es einen Zusammenhang geben muss zwischen Fondstransaktionen und dem zugrunde liegenden Markt. Ein Fonds für chinesische Aktien tritt als Käufer auf, wenn Anleger Anteile dieses Fonds zeichnen. Spiegelbildlich muss der Fonds chinesische Aktien verkaufen, wenn Anleger in dem Fonds Anteilsscheine zurückgeben. Die Transaktionen von Fonds erzeugen also eine Wirkung auf den Markt, auf dem sie agieren. Im Fachjargon spricht man von der Price-Pressure-Hypothese.
(Der Vollständigkeit halber: Die sogenannte Feedback-Trader-Hypothese geht davon aus, dass die Entwicklung der Aktienkurse, also die Transaktionen der anderen Marktteilnehmer, die Treiber für die Zu- und Abflüsse in Fonds sind. Es gibt einen weiteren Einordnungsversuch, wonach Mittelflüsse in Fonds Ausdruck eines veränderten Newsflow sind. Beide Hypothesen sehe ich als komplementär zur Price-Pressure-Hypothese. Ob der Hund mit dem Schwanz oder der Schwanz mit dem Hund wedelt, ist kontextabhängig. Weiter gehe ich hier nicht auf diese beiden Hypothesen ein.)
Um die Sache plastischer zu machen, schauen wir uns hier die Mittelflüsse in Fonds für China-Aktien (inklusive Asien ex-Japan) in Europa an. Die untere Grafik zeigt die Nettoflüsse in drei Fondskategorien seit Anfang 2020.
Nach Abflüssen Anfang des Jahres 2020 stieg die Nachfrage nach China-Fonds bis November 2020. Nach einem Knick im Dezember zog die Nachfrage bis Ende Februar 2021 an, um danach signifikant abzubrechen. Per Ende Juli gaben Anleger Anteile in den Fonds per Saldo zurück. Wie können Anleger diese Information nutzen? Es gibt zwei Möglichkeiten.
Mittelflüsse in China Aktienfonds 2020-2021
Viele Hedgefonds nutzen die Daten über die täglichen und wöchentlichen Mittelflüsse für den Momentum-Effekt. Untersuchungen haben ergeben, dass Mittelflüsse in Fonds den sogenannten Momentum Effekt befeuern. Was also heute gut läuft, wird morgen voraussichtlich auch gut laufen, weil Anleger auf den fahrenden Zug aufspringen.
Bezogen auf das obere Beispiel: Hätten Hedgefonds die Zu- und Abflüsse als einen Indikator für eine Long-Short-Handelsstrategie genutzt, hätten sie sich an die Chinafonds im zweiten und dritten Quartal 2020 “drangehängt” und Aktien gekauft. In diesem Jahr hätten sie die Abflüsse dann als Short-Signal genutzt.
Diese „Go with the Flow“-Strategie nutzt die Mittelflussdaten von Fonds für Momentum-Trades. Aber das kann nicht jeder. Denn der Effekt der Flows wirkt eher kurzfristig bzw. – je nach Markt – höchstens innerhalb eines Quartals. Danach nimmt der Nutzen dieser Information ab und verkehrt sich mittelfristig sogar ins Gegenteil.
Auch Privatanleger können Handelsinformationen nutzen
Die meisten Privatanleger dürften nicht in der Lage sein, robuste Handelsstrategien aufzusetzen, die in der Lage sind, Flow-Daten in einen Momentum-Trade gewinnbringend einzusetzen. Zumal solche Daten sehr teuer sind (Wer sich ein Flow-Datenpaket von seinem oder seiner Liebsten unter den Weihnachtsbaum legen möchte, kann hier stöbern.)
Die meisten Leser dieser Kolumne sollten also den zweiten oben erwähnten Aspekt der Flow-Informationen nutzen: Der Momentum-Effekt nutzt sich nicht nur ab, sondern verkehrt sich offenbar nach einer Weile in sein Gegenteil. Man spricht hier vom, hüstel, „Dumb money“-Effekt, der besagt, dass die Mittelflussdaten in Fondsgruppen allenfalls als Kontra-Indikator nützlich sind.
Mit anderen Worten: Wer die – viel leichter zugänglichen – Langfristdaten nutzt, kann Informationen für eine antizyklische Strategie ableiten. Demnach sprechen auffällig hohe Zuflüsse auf Ebene großer Fondsgruppen für ein (übertrieben) gutes Sentiment, während spiegelbildlich hohe Abflüsse für ein (übertrieben) schlechtes sprechen. Aus diesem Grund sind die Flow-Daten in China-Fonds oben für Langfristanleger irrelevant. Über einen mittelfristigen Zeitraum von zwölf bis 18 Monaten glätten sich die Ausschläge. Das schwächt die Signale so weit ab, dass man aus den Daten keine Schlussfolgerungen ziehen kann.
Während also die kurzfristigen Trading-Systeme den Momentum-Effekt der Flows einfangen, nutzen antizyklisch-orientierte Anleger Mittelflussdaten von Fonds für die Identifizierung von günstigen Kaufgelegenheiten auf Ebene großer Fondsgruppen.
Dazu hat die Fonds-Ratingagentur Morningstar in den USA bereits 1994 ein interessantes Experiment gestartet, das „Buy the unloved“ Portfolio. Es wird Anfang des Jahres aus den drei (Aktien-) Fondskategorien gebildet, die im Vorjahr die höchsten Nettoabflüsse erlitten haben. Das Portfolio bleibt für drei Jahre bestehen und wird hiernach Anfang des vierten Jahres anhand der Flow-Daten des Vorjahres neu zusammengesetzt.
Spiegelbildlich dazu wird das „Loved“ Portfolio gebildet. Es besteht aus den drei Kategorien mit den höchsten Zuflüssen im Vorjahr. Natürlich handelt es sich hier um ein Gedankenexperiment: Kein Anleger kann Kategorie-Durchschnitte kaufen. Und weil Nettozuflüsse das Ergebnis der Bruttozuflüsse in viele Fonds sind, sollte man dieses Experiment nicht auf die Ebene einzelner Fonds herunterbrechen.
Langfristig ist das “Unloved” Portfolio nicht zu schlagen.
Wie der obere Langfrist-Chart zeigt, sind die Ergebnisse für den US-Markt beeindruckend. Ich habe mich von diesem Langfrist-Experiment inspirieren lassen und einen entsprechenden Vergleich mit europäischen Fund Flow Daten gestartet. Weil die Datenhistorie zu Fondstransaktionen hierzulande nicht so weit zurückreicht bzw. für die Zeit vor 2010 eher lückenhaft ist, habe ich das „Unloved versus Loved“-Experiment für fünf Dreijahres-Perioden zwischen 2014 und 2020 unternommen. Ich bevorzuge dabei die Bezeichnung Value (für Unloved) bzw. Momentum (Loved).
Mehr Value erzielen mit Value Portfolios
Wie die obere Grafik zeigt, konnten die Value-Portfolios über die Zeit deutlich outperformen. In allen fünf Perioden lagen sie vor den Momentum-Portfolios. Die größte Outperformance wurde im Zeitraum 2016 bis 2018 erzielt. Hier legte das Value-Portfolio um 6,5 Prozent pro Jahr zu, während das Momentum-Portfolio um knapp 0,5 Prozent jährlich nachgab.
Zur besseren Verständlichkeit ein paar Details zur jüngsten Periode, oben links in der Tabelle: Das Value-Portfolio konnte zwischen 2018 und 2020 um 4,8 Prozent zulegen versus 3,3 Prozent beim Momentum-Portfolio. Das Value-Portfolio setzt sich aus den Morningstar Fonds-Kategorien Aktien USA Large Value, Aktien Schweiz und Aktien Asien ex Japan zusammen. Diese Kategorien mussten 2017 die höchsten Abflüsse unter allen Aktienfondskategorien in Europa hinnehmen. Das Momentum-Portfolio besteht aus den Kategorien Aktien Eurozone, Aktien Schwellenländer und Aktien Welt (blend). Diese Kategorien verbuchten die höchsten Nettozuflüsse im Jahr 2017.
Fazit: „Dumb Money“ schlägt „Go with the flow“
Die Eindeutigkeit unseres kleinen Gedankenexperiments spricht für die „Dumb Money“-Hypothese, wonach Privatanleger Geldflüsse in Fonds als Kontraindikator behandeln sollten. Und wofür sollten sie diese Informationen nutzen? Nun, es wäre schon vielen geholfen, wenn sie die Berichte über die Top-Kategorien als das nehmen, was sie sind: Berichte über vergangene Ereignisse. Anleger können sich also zunächst gegen den „Dumb Money“-Effekt immunisieren.
Mutige Anleger können darüber hinaus die Informationen über Fund Flows als Teil einer antizyklischen Strategie nutzen. Auf diese Informationen zu handeln, würde bedeuten, auf eine Mischung aus nachlassendem Momentum- und Value-Effekt zu setzen.
Allerdings müssen Investoren bedenken, dass Flow Daten nur ein eindimensionales, eher technisches Bild der Märkte zeigen. Sie sagen nichts über fundamentale Makro-Faktoren aus. Und weil die Mittelflussdaten auf Kategorie-Ebene die Zu- und Abflüsse von hunderten oder sogar tausenden von Fonds zusammenfassen, sollte man nicht von der Kategorieebene auf einzelne Fonds schließen.
Unendlich viele Motivationen lenken das Verhalten von Investoren, und technische Faktoren sind oftmals nicht die entscheidenden. So war es über weite Strecken des vergangenen Jahrzehnts eine gute Idee, europäische Aktienfonds zu verkaufen und stattdessen auf USA-Fonds zu setzen. Zwischen 2010 und 2014 hätte das Momentum-Portfolio einige Male deutlich vor dem Value-Portfolio gelegen.
Man sollte also Informationen über Mittelflüsse in Fonds als einen Mosaikstein seiner Markt- und Szenarioanalyse behandeln, nicht als „Silver bullet“, der über Wohl und Wehe der Portfolio-Performance entscheidet. Erfolge im Asset Management kommen sehr selten über Top- oder Flop-Entscheidungen zustande.
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