Fünf Essentials für den Weg zum cleveren Investieren


Immer mehr Menschen erkennen, dass es wichtig ist, die Kontrolle über die eigenen Finanzen zu gewinnen. Aber wie geht das: clever Investieren? Fernab von komplexen Formeln zeigen wir, dass wenige, einfache Essentials reichen, um den Weg zum selbstbestimmten Investor bzw. zur selbstbestimmten Investorin zu beschreiten.

Die private Vermögensbildung ist für Anlegerinnen und Anleger wichtiger denn je: Ob es um die Rente, die Ausbildung der Kinder, Konsumwünsche oder die allgemeine Vorsorge geht: erfolgreich zu investieren ist für uns angesichts der engen Grenzen der staatlichen Fürsorge zur Notwendigkeit geworden. Doch viele Menschen fühlen sich von den Kapitalmärkten abgeschreckt. Die Komplexität erscheint hoch, weshalb es den meisten schwer fällt, selbstermächtigt zu agieren und clever zu investieren. 

Die wiederholten Finanzkrisen haben zudem das Vertrauen der Anleger in Banken und andere Finanzvertriebe zerstört. Skepsis über die Motive des klassischen Finanzvertriebs mögen berechtigt sein. Aber leider bleiben die Finanzen links liegen: Überforderung führt in der Praxis leider zu Inaktivität. Das ist keine gute Strategie zur Vermögensbildung. 

Mit unserer heutigen Checkliste wollen wir Euch einige Ratschläge an die Hand geben, mit denen Ihr die ersten Schritte hin zum selbstbestimmten Anleger bzw. zur selbstbestimmten Anlegerin machen könnt. “Clever Investieren” ist ab jetzt Euer Motto, und das ist sowohl für Do-it-Yourself-Anleger geeignet als auch für Anleger, die auf Finanzberatung setzen. Ich möchte letztere unterstützen, auch hier die Kontrolle über die Geschäftsbeziehung mit dem Finanzberater Eurer Wahl zu übernehmen.

Clever Investieren: Das Kontrollierbare kontrollieren

Am Anfang des Investierens steht die menschliche Natur, und die ist nicht immer hilfreich, wenn es darum geht, erfolgreich zu investieren. Das fängt damit an, dass wir ungeduldige Kontrollfreaks sind. Haben wir ein Wertpapierdepot, neigen wir dazu, jeden Tag auf die Kurse zu schauen. Wehe, wenn sie rot aufleuchten oder nicht grün genug sind! Wir begegnen tatsächlichen oder vermeintlichen Unzulänglichkeiten im Depot mit dem intensiven Studium der Börsenkurse, der Finanznachrichten, um die Richtung der Märkte zu prognostizieren. Die Konsequenz: Mit diesem „Expertenwissen“ ausgestattet fangen wir an, aktiv am Portfolio herumzuschrauben. Oder wir suchen uns einen besonders “aktiven” Berater, der immer neue Aktientipps auf Lager hat. Damit verschwenden wir viel Zeit auf die sinnlose Prognose von Renditen. Und wir agieren im Ergebnis viel zu hektisch. Aktive Handelsstrategien führen meistens zu schlechten Ergebnissen

Wer ständig kauft und verkauft und seine Strategie “anpasst”, zerstört wertvolle Rendite. Merke: Wir haben keine Kontrolle über die Kurse von morgen, weniger (traden) ist deshalb mehr! Inzwischen hat sich in vielen Branchen das Motto etabliert: “Don’t just do something, stand there!” Das ist eine Verballhornung des Ausrufs, die zum Handeln animiert: “Don’t just stand there, do something!”. Der bekannte Investor André Kostolany (1906-1999) soll gesagt haben: „Kaufen Sie Aktien, nehmen Sie Schlaftabletten. „Nach vielen Jahren wachen Sie auf und sind reich.“ Dieser Ratschlag ist übrigens nicht nur für Privatanleger wichtig: Auch Börsenprofis neigen dazu, die eigenen Möglichkeiten zu überschätzen. Ihr könnt also den Profis etwas voraushaben! Die untere Grafik illustriert den Kontrast zwischen der Zeit, die wir mit Versuchen aufwenden, das Unbeeinflussbare zu beeinflussen, und der Zeit, die wir nicht für die Essentials der Kapitalanlage verwenden. Die grundlegenden Parameter unserer Investmentstrategie können wir sehr wohl beeinflussen, wie die Grafik von Blake Millard zeigt. Wir sollten uns Gedanken über die richtige Aktienquote machen (Risk), die Kosten unserer Investments kontrollieren, die 1:1 auf die Rendite (die wir im Vorhinein nicht kennen) durchschlagen, unseren Investmenthorizont bestimmen und daran arbeiten, klassische Verhaltensfehler erkennen und gegen sie ankämpfen.


Kursschwankungen sind unsere Freunde!

Viele Anleger befinden sich noch im menschlichen Urzustand. Sie vermuten hinter jeder Ecke am Markt einen wilden Säbelzahntiger. Unsere Urinstinkte warnen uns vor Risiken und haben uns mit einem Fliehreflex ausgestattet. Deshalb sind wir als Anleger von Natur aus risikoscheu und haben eine ausgeprägte Verlustaversion. Wir setzen deshalb die Marktschwankungen mit einem schlechten Risiko gleich und versuchen, die Schwankungen zu reduzieren. Aber das ist das Gegenteil von clever Investieren, denn damit zerstören wir wertvolle Langzeit-Rendite. Die Aktienmärkte winken nur denen mit guten Renditen, die langfristig bei der Stange bleiben. 

Aktien erwirtschaften im langfristigen Schnitt ein Plus von 8-10 Prozent pro Jahr. Um dieses gute Ergebnis einzufangen, ist es nötig, auch die Verluste auszusitzen, die immer wieder anfallen. Weil wir die Richtung der Kurse nicht prognostizieren können und die Märkte überwiegend steigen (siehe Kapitel 1), müssen wir die schlechten Tage aushalten, um von der langfristig guten Aktienbilanz zu profitieren. Und es kommt noch besser: Je länger wir investiert bleiben, desto geringer fällt die Gefahr aus, Verluste zu erleiden. Diverse Untersuchungen haben gezeigt, dass bei Perioden von rund 15 Jahren das Verlustrisiko bei breit diversifizierten Aktienkörben gen null geht. Langfristanleger sollten daher die Kursschwankungen als freundliches Wesen und nicht als gefährlichen Säbelzahntiger erkennen. Die untere Grafik illustriert die Logik des Langfrist-Investierens. 

Das bedeutet natürlich nicht, dass Investieren risikolos ist. Es gibt für Anleger ein echtes Risiko: die Gefahr, die finanziellen Ziele nicht zu erreichen. Keiner will im Alter arm sein, keiner will sein Haus verkaufen, weil seine Anlagerendite niedriger ausfällt als geplant. Wer kurz vor dem Ende seiner Investmentphase mit einer hohen Aktienquote in eine Marktkrise reinrauscht und hohe Verluste erleidet, hat das Aktienrisiko im Portfolio zu spät reduziert.  Wir müssen also lernen, zwischen Risikotoleranz und Risikotragfähigkeit zu unterscheiden. Hat man noch eine lange Investmentphase vor sich, gibt es keinen guten Grund, das kurzfristige Kapitalmarktrisiko zu kontrollieren. Vielmehr sind hohe Aktienquoten die beste Lösung. Wenn aber der Investmenthorizont enger wird, weil die Konsumphase (etwa der Renteneintritt) naht, dann kommt die Risikotragfähigkeit ins Spiel. Auch wer aufgrund langjähriger Aktienerfahrung gewohnt ist, hohe Aktienquoten zu fahren, sollte sich bei nahender Rentenphase zügeln und wegen seiner geringen Risikotragfähigkeit in Cash oder Anleihen umschichten. 


Humankapital: Der unbekannte Vermögenswert

Unser Gesamtvermögen ist größer, als wir glauben, doch das liegt nicht an einem geheimen Depotstand oder einem bevorstehenden Lottogewinn. Wir neigen dazu, unser Vermögen mit unserem Finanzkapital gleichzusetzen. Aber das ist zu kurz gedacht. Auch junge Menschen ohne Wertpapierdepot verfügen über einen Kapitalstock: ihre Arbeitskraft. Wer mit 25 Jahren ins Arbeitsleben eintritt, mag kein Depot haben, aber er hat ein Berufsleben von 40 Jahren und mehr vor sich. Seine Arbeitskraft übersetzt er nach und nach in Finanzkapital, das über die Zeit immer größer wird – dank des Zinseszins-Effekts. Die Qualität des Humankapitals ist entscheidend für die Vermögensbildung. Wer zur Uni geht und einen Abschluss macht, hat bessere Verdienstmöglichkeiten als ein Hauptschulabgänger ohne Abschluss. 

Je weiter das Leben voranschreitet, desto mehr verschieben sich die Gewichte: Aus dem Humankapital leitet sich finanzielles Kapital ab, das relativ immer größer wird. Das zeigt die untere Grafik. Aber auch im weiteren Leben lässt sich das Humankapital mehren – etwa mit Fortbildungen, einem Aufbaustudium oder anderen Qualifizierungsmaßnahmen. Zudem schützt man sein Humankapital durch einen gesunden Lebensstil. Ein sportlicher, nichtrauchender MBA-Absolvent optimiert sein Humankapital besser als ein rauchender und trinkender Lagerarbeiter, der noch nie eine Fortbildung gemacht hat. 

Übrigens ist es deshalb für junge Berufsanfänger wichtig, ihr Humankapital zu schützen, etwa mit einer privaten Risikolebensversicherung, die für nur wenige Euro zu haben ist, oder einer – deutlich teureren, aber in der Regel gut dotierten Berufsunfähigkeitsversicherung.

Bist du eine Aktie oder eine Anleihe?

Auch wenn die Lebensumstände der Menschen verschieden sind, wie auch ihre finanziellen Bedürfnisse, so lassen sich doch einige generelle Parameter definieren. Wir wissen, dass die Vermögensstrukturierung, vereinfacht gesagt: die Aktienquote, eine entscheidende Rolle für die Risikobeiträge eines Investments spielt. Die Asset Allocation sollte allerdings nicht nur die Funktion von Alter und Einkommen, sondern auch die beruflichen Risiken abbilden. Manche Berufsgruppen zeichnen sich durch geringe Karriererisiken aus. So werden Beamte zwar möglicherweise keine riesigen Karrieresprünge machen, aber sie sind praktisch unkündbar und ihre Bezüge sind zudem (in Deutschland) faktisch an die Inflation gekoppelt. Damit sind sie quasi eine (inflationsindexierte) Anleihe. Sie erhalten regelmäßig Coupons (Gehalt/Pension), die sicher sind. Das ermöglicht eine hohe Aktienquote, gerne auch in Wachstumsbranchen. 

Anders verhält es sich mit anderen Berufsgruppen, etwa Selbstständigen oder Bankern. Ihr Karriererisiko verleiht ihnen ein Aktienprofil. Deshalb sollten sie zum Ausgleich für ihr Karriererisiko bei sicherheitsorientierten Anlagen einen Schwerpunkt setzen, etwa bei Anleihen. Es gibt weitere Daumenregeln zu beachten: wer in Mitarbeiteraktien investiert, kombiniert sein Investmentrisiko mit dem Karriererisiko. Wer günstig an Mitarbeiteraktien herankommt oder einen Teil seiner variablen Vergütung als Mitarbeiteraktien kassiert, sollte diese zügig in einen breit gestreuten Aktienkorb (Fonds oder ETF) umschichten. Auch die Frage nach Investments in bestimmten Sektoren oder Themen sollte zunächst mit der eigenen beruflichen Konstellation abgeglichen werden. Daimler-Mitarbeiter sollten weniger in den DAX investieren, da es sich hier um ein Barometer der deutschen Exportwirtschaft handelt. In gewisser Weise zählt auch der Home Bias, ein klassischer Anlagefehler, in diese Rubrik.


Vorsicht vor falschen Freunden

Es gibt den Spruch: Bei Geld hört die Freundschaft auf. Aber ich befürchte, dass Bankberater und Mitarbeiter von Finanzvertrieben von diesem Vorbehalt ausgenommen sind. Gerade in ländlichen Regionen ist der freundliche Sparkassenberater oder der nette Ausschließlichkeitsvertreter des örtlichen Finanzvertriebs gerade bei älteren Anlegern “gesetzt”, schließlich kennt man sich ja seit Jahrzehnten. Dabei wird ignoriert, dass Banker abhängige Verkäufer sind, die von der Vertriebssteuerung der Konzernzentrale gelenkt werden. Die Konzernstrategie bestimmt, ob Anleger in der einen Woche eine Riester-Rente bekommen, einen aktiv verwalteten Aktienfonds oder eine ETF-basierte Vermögensverwaltung. Mittels einer “Einwandbehandlung” werden widerspenstige Kunden wieder zum Spuren (Kaufen) gebracht. 

Banken oder Strukturvertrieben geht es ums Geld der Anleger, aber anders als diese es vermuten. 15 Jahre nach der Lehman-Pleite hat der Anlegerschutz zwar Fortschritte gemacht, aber weil es in erster Linie um Transparenzregeln geht, sind noch immer Tricksereien möglich. So werden vor allem betagten und vertrauensseligen Sparern risikante, intransparente Zertifikate aufgedrückt. Die Masche vieler Banken in Nullzins-Zeiten war besonders perfide: Mit Zusagen über vermeintliche “Zinsen” wurden ahnungslosen Kunden riskante Aktienanleihen aufs Auge gedrückt. Bei hohen Verlusten partizipieren die Anleger 1:1 an der Entwicklung dieser Papiere. Das hat nichts mit einem Verhalten sicherer Anleihen zu tun. Bereits zu Corona-Zeiten machte die sprichwörtliche Lehman-Oma 2.0 in den Medien die Runde.

 Es gilt also, seriöse Berater von Produktverkäufern abzugrenzen. Das ist manchmal nicht so leicht, weil Verkäufer oft mit Psycho-Tricks arbeiten. Damit erschleichen sie nicht nur das Vertrauen von Kunden, sondern machen sie mundtot. Anleger sollten sich nicht beirren und eine Check-Liste mit sich führen: Wie transparent ist der Finanzdienstleister? Gibt er sich als abhängiger Produktverkäufer zu erkennen? Was sind die Kosten der Beratung? Wie gut erklärt er sein Vergütungsmodell? Erstattet er alle Vertriebskosten, wenn er eine Service-Gebühr erhebt? Wie klar ist seine Sprache? Versteckt er sich hinter hochtrabenden Fachbegriffen? 

Kein Kunde sollte sich von komplexer Fachsprache einwickeln lassen, denn mit deren Einsatz werden Machtbeziehungen aufgebaut. Wer mit komplizierten Fachbegriffen um sich wirft, will nicht nur Kompetenz signalisieren, sondern sein Gegenüber klein halten. Der Anleger soll keinen Widerspruch leisten, wenn es um den Produktverkauf geht! Anleger wollen nicht mit vermeintlich dummen Fragen auffallen, aber in der Finanzberatung gibt es keine dummen Fragen. Im Gegenteil: Die einfachen Fragen sind meistens die besten, und wer keine verständlichen Antworten bekommt, sollte das vermeintliche Beratungsgespräch zügig abbrechen.  Wer kritisch nachfragt und dadurch Scharlatane entlarvt, hat vieles richtig gemacht. Clever Investieren fängt damit an, die Geschicke in die eigene Hand zu nehmen. Ich hoffe, dass diese Checkliste einen Beitrag dazu leistet, möglichst vielen Anlegerinnen und Anlegern den Weg zur finanziellen Selbstbestimmung aufzuzeigen.


Disclaimer

Dieser Beitrag stellt eine Meinungsäußerung und keine Anlageberatung dar.
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